ENSEMBLE Nr. / N° 22 - Oktober / Octobre 2017

18 Fokus —– ENSEMBLE 2017/22 Ende 2015 schloss in Riggisberg die Kollektiv- unterkunft für Asylsuchende. Nach wie vor leben im Dorf rund 30 Eritreerinnen und Eritreer. Wie geht es ihnen? Daniel Winkler, seit zwölf Jahren Pfarrer in Riggisberg, gibt Auskunft. Von Selina Stucki Daniel Winkler, rund 80 Prozent der im Dorf le- benden Asylsuchenden absolvieren ein Praktikum, eine Ausbildung, haben eine Arbeit oder gehen sonst einer Beschäftigung nach. Eine Zahl, die sich sehen lässt. Ja. Doch hinter dieser Quote steckt viel Arbeit unserer Freiwilligengruppe. Für jeden einzelnen Platz braucht es einiges an Abklärungszeit und Engagement. Wie kamt ihr dazu, für Asylsuchende Beschäfti- gungs- und Arbeitsmöglichkeiten zu suchen? Ein grosser Leidensdruck für unsere Asyl­ suchenden war das Fehlen sinnstiftender Auf­ gaben. Und wem für längere Zeit der Zugang zum Arbeitsmarkt verunmöglicht wird, der verfällt in Lethargie und wird motivationslos. Die professio- nellen Stellen sind häufig zu weit weg, kennen die Verhältnisse vor Ort und die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Flüchtlinge kaum. Doch die Kirch- gemeinde ist gut vernetzt im Dorf, und als Pfarrer kennt man Institutionen und Personen in leiten- der Stellung. Für uns war deshalb klar: Wir müssen aktiv werden! Wie seid ihr die Sache angegangen? In der Zeit der Kollektivunterkunft suchten wir bereits früh möglichst viele Beschäftigungsplätze für unsere Neuankömmlinge. Im Sommer 2014 halfen diese mit bei den Aufräumarbeiten nach den Unwettern. Dies brachte ihnen grosse Sympa- thien ein: Wenn eine Dorfgemeinschaft auf dem Land arbeitenden Flüchtlingen begegnet, schafft das viel Goodwill. Mittlerweile arbeiten die Flüchtlinge aber auch in Alters- und Pflegeheimen. «DIE KIRCHE KANN BRÜCKEN BAUEN » ARBEITSINTEGRATION VON FLÜCHTLINGEN Genau. Auf diese Idee kam ich, als mich Ende 2014 die Tochter einer demenzkranken Frau kon- taktierte. Sie legte mir nahe, ihre Mutter im Altersheim Riggishof häufiger zu besuchen, da sie an Angstzuständen leide. Ich fragte, ob eine Flüchtlingsfrau ihre Mutter besuchen dürfe, nahm Kontakt mit dem Leiter des Heims auf und klärte mit der Heilsarmee-Flüchtlingshilfe die Formali- täten ab. Alles lief wie am Schnürchen? Es war eine knifflige Sache, zwei Beschäfti- gungsplätze im Altersheim einzurichten. Doch schliesslich konnten zwei Eritreerinnen täglich zwei Stunden im Altersheim Riggishof mit einem Lohn von fünf Franken pro Stunde arbeiten. Mehr durfte es von Gesetzes wegen nicht sein, aber im- merhin hatten wir einen Fuss in einer ersten Ins- titution in Riggisberg. Das tönt nach einer Win-win-Situation. Ja. Gerade bei Menschen mit Demenzerkran- kungen ist eine enge Begleitung wünschenswert, und es ist für sie wohltuend, menschliche Zuwen- dung und Nähe zu erleben. Umgekehrt ist es für die Asylsuchenden ungemein hilfreich, eine kleine Beschäftigung zu finden und sich in einem guten Umfeld bewegen zu können. Wie reagierten die Mitarbeitenden vom Riggishof? Sie schätzten die neuen Hilfen. Bei Einzelnen wusste ich um Angst und Abwehr gegenüber Fremden. Durch die positiven Erfahrungen konnte aber etwas Neues entstehen. Ja: Anfängliche Skep- tikerinnen lobten die neuen Mitarbeiterinnen! Solche Entwicklungen zeigten uns, dass durch Begegnungen aus Wutbürgern Mut-Bürger wer- den können. Die kritischen Stimmen im Dorf sind also ver- stummt? Nicht ganz. Die subtile politische Polemik der vergangenen Jahre vergiftete die gesellschaftliche Wahrnehmung gegenüber Ausländern und beson- ders gegenüber Asylsuchenden. Der direkte Kon- takt aber und positive Begegnungen schaffen

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