ENSEMBLE Nr. / N° 22 - Oktober / Octobre 2017

19 ENSEMBLE 2017/22 —– Fokus einen neuen Zugang. Auch wer negative Geschich- ten mit diesen Leuten zu erzählen weiss, steht vor der Aufgabe, die eigenen Erfahrungen in eine gesunde Relation zu stellen. Unanständige Men- schen gibt es in jeder Gruppe, in jedem Volk und in jeder Religion. Und das Verhältnis der unan- ständigen zu den anständigen ist überall ungefähr gleich. Zurück zur Arbeitsintegration: Bleiben die Asyl­ suchenden nun ewig in einem Beschäftigungs­ programm? Nein. Gemeinnützige Beschäftigungspro­ gramme sind für Personen im Asylverfahren vorge­ sehen. Viele davon erhielten in Laufe der Zeit eine Aufenthaltsbewilligung. In den meisten Fällen konnten wir das Beschäftigungsprogramm in ein bezahltes Praktikum umwandeln. Was ist der Vorteil des Prakti- kums? Es bietet einen vertieften Einblick in einen Betrieb und bestenfalls Optionen für eine Anschlusslösung. Im Weiteren bringt ein Arbeitseinsatz mit einem Arbeitszeugnis Vorteile bei der späteren Stellensuche. Was ist der Nutzen für einen Betrieb? Praktika bringen einem Be- trieb – nach einer Einarbei- tungszeit – eine wesentliche personelle Unterstützung mit einem verhältnismässig gerin- gen finanziellen Aufwand. Durch die Bereitschaft, Asylsu- chende einzustellen und ihnen eine Chance zu geben, über- nehmen Betriebe eine gesamt- gesellschaftliche Verantwor- tung. Nicht zu vergessen ist zudem, dass durch den Praktikumslohn die staatlichen Sozialhilfe- kosten verringert werden. Wie stellt ihr sicher, dass der Praktikumsplatz zu den Flüchtlingen passt und umgekehrt? Wir haben bei allen Flüchtlingen Interviews durchgeführt, um ihre Ausbildungssituation und ihre beruflichen Erfahrungen zu dokumentieren. Diese Informationen helfen, geeignete Prakti- kumsplätze zu finden. Wie veränderten die Arbeitsmöglichkeiten das Leben der Flüchtlinge? Die Arbeitseinsätze und die Deutschkurse brin- gen ihnen eine Strukturierung des Alltags. Sie helfen auch, die schwierigen Bilder erlebter Not und Gewalt in den Herkunftsländern und auf der Flucht wenigstens ein bisschen zu vergessen oder zu verdrängen. Waren alle motiviert, einer Arbeit nachzugehen? Es ist eine Realität, dass kein Mensch in seiner Wohnung herumsitzen und Däumchen drehen will. Die meisten unserer Asylsuchenden in Riggisberg sind extrem motiviert, zu arbeiten und Deutsch zu lernen. Was konkret kann die Kirche beim Thema Arbeits- integration tun? Es ist ein nachgewiesener Erfolgsfaktor für eine gelingende Integration, wenn Asylsuchende mög- lichst früh eine Beschäftigung finden, auch wenn es Kleinpensen sind. Um die Integrationsquote zu erhöhen, muss aber auch die Zivilgesellschaft einen Teil der Verantwortung übernehmen. Hier kann die Kirche zwischen der einheimischen Be- völkerung und den Neuankömmlingen Brücken bauen. Uns muss es darum gehen, den Menschen ihre Würde wieder zurückzugeben. Das gelingt dann, wenn sie in ein Beziehungsnetz eingebun- den, vorurteilsfrei angeschaut und anständig be- handelt werden. Schliesslich ist die Flüchtlings­ arbeit für unsere Kirche auch schlichtweg eine Notwendigkeit. Der Einsatz für diese verletzten Menschen in Wort und Tat, das Insistieren auf einer politischen und gesellschaftlichen Anstands- kultur im Umgang mit Flüchtlingen ist für unsere Kirche, die sich auf Jesus Christus beruft, ein Auf- trag, dem sie sich niemals verschliessen darf. Pfarrer Daniel Winkler im Ge- spräch mit einem Asylsuchenden. Le pasteur Daniel Winkler en conver­ sation avec un requérant d’asile. ©Alexander Egger

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