ENSEMBLE Nr. / N° 23 - November / Novembre 2017

22 Fokus —– ENSEMBLE 2017/23 Diesen Sommer flogen in Ausserholligen die Fussbälle. Über 400 Flüchtlinge aus der ganzen Schweiz reisten an, um sich am runden Leder zu messen. Der 21-jährige Orga- nisator Khadim Shujai – selbst Flüchtling – erzählt, was ihn an- und umtreibt. Von Selina Stucki Zwischen Unterrichtslektion und Termin beim Fotografen verabreden wir uns in einer Döner­ bude. Mir gegenüber sitzt ein junger Mann: Drei- tagebart, strahlende Augen, als würde das Leben es nur gut mit ihm meinen. Doch der Eindruck täuscht: Als Minderjähriger verliess Khadim seine Heimat Afghanistan. Heute – dreieinhalb Jahre nach der Ankunft in der Schweiz – wartet er noch immer auf seinen Asylentscheid. Khadim lebt von der Asylsozialhilfe, obwohl er bereits einen unter- schriebenen Arbeitsvertrag in den Händen hielt. Der Grund: Während des Asylverfahrens ist Geflüchteten das Arbeiten nicht erlaubt. Khadim sagt, er halte es kaum aus, Hilfe zu empfangen. Lieber helfe er selbst Menschen. In beinahe flies- sendem Deutsch gibt er Einblick in ein Leben voller Tatendrang. Warten auf eine Lehrstelle «Soeben hatten wir in der Schule eine Lektion zum Thema Lebenslauf. Diesen Herbst will ich als Koch, Elektriker und Sanitär schnuppern gehen. Mein Ziel ist, nächsten Sommer eine Lehre zu beginnen. Doch als Asylsuchender ist das schwer. Ich ver­ stehe das nicht: Junge Leute können alles machen, sind stark, motiviert. Es ist schade, wenn die Schweiz diese Kraft nicht nutzt! Stattdessen bin ich abhängig von der Sozialhilfe. Es ist mir wich- tig, dass ich anderen helfen kann. Ich liebe die Arbeit mit Menschen. Deshalb sagte ich auch zu, als ein Freund mich fragte, ob ich mithelfe, ein Fussballturnier für Flüchtlinge zu organisieren. Ich habe mehrere Jahre selbst in Zentren für Flüchtlinge gelebt. Bis zu 48 Personen waren in einem Raum – und das im Sommer! Rumsitzen, kochen, schlafen, im Internet surfen waren unse- re Tagesinhalte. Über Monate, Jahre. Das hält kein Mensch wirklich aus. Wertvolle Kontakte Ich wollte mit dem Turnier den anderen Flücht- lingen wenigstens einen schönen Tag schenken. Miteinander Gutes erleben und ins Gespräch kom- men war das Ziel. Und das haben wir erreicht. Wichtig war mir, dass in den Medien einmal etwas Positives über Flüchtlinge steht. Man liest ja viel Schlechtes zum Thema. Für das Turnier erhielten wir finanzielle Unterstützung von der Reformier- ten Kirche Burgdorf und der Fachstelle Migration der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Überhaupt finde ich, dass die Kirchen viel Gutes für Flüchtlinge machen. Sie laden ein zu Mittags- tischen oder unterstützen im Deutsch-Üben. Es ist wertvoll, wenn wir Kontakte zu Schweizern knüp- fen können. Ich spiele in einer Theatergruppe, mache Breakdance und tanze Hip-Hop. Ich möchte schon lange in die Bibliothek gehen, um mir einen Aus- weis machen zu lassen. Doch neben dem zehnten Schuljahr und meinen Hobbys fehlt mir die Zeit. Sprache ist wichtig Im Moment lese ich ‹Der alte Mann und das Meer› von Ernest Hemingway. Das Buch ist kompliziert und manchmal muss ich eine Seite zweimal lesen. Doch dafür verbessere ich mein Deutsch. Die Sprache ist ganz wichtig für uns. Manchmal möchten wir im Zug mit Schwei- zern ein bisschen Deutsch üben. Doch viele spielen am Handy, weshalb wir uns gar nicht trauen, sie anzusprechen. Einige Flücht- linge sind auch zu schüchtern oder denken, dass ihre Sprach- kenntnisse noch nicht gut genug sind. Es ist also sehr wertvoll, wenn die Kirchen uns Gelegen- heit geben, in einem lockeren Rahmen mit Einheimischen in Kontakt zu kommen.» F U S S B A L L T U R N I E R F Ü R F L Ü C H T L I N G E Die Kirchen tun viel Gutes ©zVg ©zVg Khadim Shujai «Den anderen Flüchtlingen einen schönen Tag schenken.» «Offrir une belle journée aux autres réfugiés.»

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