ENSEMBLE Nr. / N° 24 - Dezember / Décembre 2017

23 ENSEMBLE 2017/24 —– Fokus gen, wie sehr die Verleugnung des Klimawandels und die zügige Beseitigung weiterer Barrieren für eine noch nachhaltigere Ausblutung der Natur und der sozial Schwachen zusammenhängen. Und was die Frauen betrifft: Es gibt noch lange keine Gleichberechtigung, nicht nur beim Lohn, sondern auch und vor allem hinsichtlich einer verheeren- den Unterversorgung im Hinblick auf Kinder­ betreuung, Elternzeiten oder sonstige materielle Unterstützung. Auch die Armut nimmt immer mehr zu. Dies ist folgerichtig in der Logik eines Systems, das dem «einen Prozent» der Reichen immer mehr und den «anderen» immer weniger zukommen lässt, während auf der anderen Seite die Militärausgaben sprunghaft steigen. Welchen Beitrag können Kirchen leisten, und gibt es eine Notwendigkeit, sie selbst zu reformieren? Der Trump-Schock war ein Weckruf, ein Alarm- signal für die Kirchen, die oft im Strom der herr- schenden Ideologie schwimmen. Sie müssen sich beispielsweise fragen, ob sie nicht deutlicher sa- gen müssen, dass der Gott des wildgewordenen Kapitalismus nicht der Gott der Bibel ist. Ich fürch- te auch, wir müssen die vielen Jahrhunderte säu- berlicher und selbstgerechter Selbstabgrenzung gegenüber den «anderen Religionen», denen wir gern pauschal Götzendienst zuschrieben und mo- ralische wie kulturelle Zurückgebliebenheit, sehr schnell überspringen. Dies, um einer neuen Theo- logie und Praxis der interreligiösen Sorge für die Bewohnbarkeit der Erde Raum zu geben. In dieser Richtung gibt es viele positive Impulse und Auf- brüche. Ich glaube allerdings, für uns als christ­ liche Kirchen erfordert das zuerst und vor allem eine radikale und selbstkritische Rückbesinnung auf die Bibel. In den USA ist dieses Buch den sozial-christlich engagierten Bewegungen regel- recht gestohlen worden von reaktionären und fundamentalistischen Richtungen. Eigentlich liest niemand unter den «linken Christen» mehr die Bibel. Wir müssen die Bibel zurückgewinnen, um uns selbst neu zu finden. Ich glaube, dass die Bibel weitaus mehr Ressourcen für eine neue Ökologie und Ökonomie der Erde enthält, als wir bisher ge- sehen haben. Wenn wir nicht lernen, das Evange- lium zu verkündigen, hat die Kirche keine Chance – und vielleicht die Erde auch nicht. Leserinnenbrief «Die Frauen wollen heute einfach nicht mehr schweigen» Reaktion von Agnes Leu auf das Schaufenster im ENSEMBLE, Nr. 23, November, S. 36 Überall kämpften und kämpfen Frauen für die Zulassung zum Pfarramt. Pfarrerinnen in der reformierten Kirche sind heute eine Selbstver- ständlichkeit. Die ersten Pfarrerinnen gehören schon fast der Vergessenheit an. Und nun diese unverständliche und miserab- le Karikatur einer Gekreuzigten im Talar. Was soll das Frauenzeichen? Als reformierte Pfarrerin in der Gesamtkirch- gemeinde Biel war ich bis jetzt recht zufrieden und fand es normal und sogar cool, dass ich die Pfarramtsarbeit fifty/fifty mit Kolleginnen und Kollegen ausüben kann. Denn wir sind aktuell gleich viele Frauen und Männer, die die Gemeindearbeit teilen in der deutschen Kirchgemeinde und in der Paroisse française. In diesem Reformationsjahr wurde ein riesiges gesamtstädtisches Programm auf die Beine gestellt, unter anderem ein Podiumsgespräch mit drei Pfarrerinnen aus drei Generationen, wo darüber diskutiert wurde, was die Reformation den Frauen «gebracht» hat. Eine Frauenprojektgruppe hat einem ehemaligen Pfarrhaus einen Frauennamen ermöglicht, mit Mitwirkung der Gemeinde. Erstmals trägt ein kirch- liches Haus in Biel, seit dem 19. September 2017, einen Frauennamen – Gertrud Kurz-Haus. Was hat die Reformation den Frauen wirklich gebracht? Die Reformatoren Luther, Zwingli, Calvin und Co. hätten sich sowieso nie vorstellen können, dass Frauen Pfarrämter leiten. Im Gegenteil, die Frauen blieben bis heute in kirchlichen Kreisen minderwertig oder gefährlich. Und sie sind es, die sich mit Katholikinnen, Jüdinnen und Muslimin- nen zusammensetzen und sich um Grenzen fou- tieren. Frauenfeindliche biblische Stellen – die gött- liche Ordnung – wird bis heute zitiert, weil gescheite Argumente fehlen, und weil Frauen heute einfach nicht mehr schweigen wollen. Agnes Leu Antwort der Redaktion: Der Cartoon war der mehr oder weniger gelungene Versuch, ein männ- lich geprägtes Symbol mit weiblichen Attributen zu versehen. Es lag uns fern, die Frauen damit in irgendeiner Form zu diskriminieren. Doch es scheint gelungen zu sein, damit eine Diskussion anzuregen. Adrian Hauser, verantwortlicher Redaktor

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