ENSEMBLE Nr. / N° 26 - März / Mars 2018

13 ENSEMBLE 2018/26 —– Dossier ten Gotteshäuser der Region. Es wurde eine Charta aus dem Jahr 866 entdeckt, in der erstmals eine Kirche in La Neuveville erwähnt wird, die zur Abtei Moutier-Grandval gehört. Nachdem ich nach­ einander in den Waadtländer Kirchgemeinden Romainmôtier und Payerne tätig war, bin ich per­ sönlich stolz, an einem Ort Pfarrer sein zu dürfen, der «ausstrahlt» und der mit seinen Fresken, den Kirchenfenstern, dem Tonnengewölbe, der Aus­ stattung und der menschlichen Grösse Ruhe und Zu-sich-Kommen ermöglichen. Haben Sie viele Besuchende? Es tauchen immer wieder Besuchende auf, das Aufkommen ist aber nicht riesig. Das mag daran liegen, dass die Kirche etwas ausserhalb unserer kleinen Stadt liegt, was wiederum viele schätzen. Es gibt Besuchende, die hier Ruhe suchen. Tags­ über empfangen wir die Leute nicht persönlich. Wir heissen die Besuchenden aber jeweils am Sonntag willkommen und entbieten jenen, die auf der Durchreise sind, unsere besten Wünsche. Bei uns schauen auch immer wieder Spaziergänger vorbei, die hier einen ruhigen Moment finden. Die Kirche liegt glücklicherweise an einem offiziellen Rundgang, der an den historischen Stätten der Stadt vorbeiführt. Pilger kommen regelmässig vorbei und werden manchmal im Pfarrhaus be­ herbergt. Ist das Wetter schön, machen auch Rad­ fahrer bei uns einen Halt. An den meisten Sonn- und Feiertagen halten wir auch Gottesdienste ab, und zusammen mit der Kirchgemeinde Twann- Ligerz organisieren wir jeden Monat an einem Sonntagabend eine Taizé-Andacht. Bei dieser Ge­ legenheit zünden wir farbige Kerzen an und stel­ len ein Klavier auf. Das sind jeweils sehr schöne Momente. Die Kirche ist dank ihrer herausragen­ den Akustik auch gut gebucht für Konzerte. Das «Ensemble Instrumental de La Neuveville» tritt mehrmals pro Jahr bei uns auf. Sind derartige Orte für unsere Gesellschaft wich- tig? Ja, ich habe den Eindruck, dass das Angebot einem Bedürfnis der Menschen nachkommt, hier tagsüber jederzeit meditieren und in einer schö­ nen Kirche beten zu können. Vielleicht hat es darunter auch solche, denen der Besuch des Got­ tesdienstes am Sonntag nicht zusagt und die lieber allein in die Kirche kommen. Zum Glück gibt es Kirchen, die uns vor dem Lärm und dem Trubel, die da draussen herrschen, beschützen. Sie sind so etwas wie Horte des Friedens – Orte, an denen man Rücksichtnahme, Stille, Einsicht, Verwunde­ rung und Kontemplation erfahren darf. Wir leben in einer Gesellschaft, die zahllose Museen, didak­ tische Rundgänge und andere Ablenkungen bie­ tet, aber was öffnet uns noch die Tür zu unserem Inneren? Wir brauchen diese erhaltenen und ge­ schützten Orte, die eine Geschichte erzählen. Sie bewahren die Erinnerung und setzen uns in Ver­ bindung mit denen, die vor uns hier waren, und das in einer Zeit, in der sich zwischen den Gene­ rationen ein Riss öffnet. Kirchen sind auch Orte der Pädagogik, der Hilfe, der Unterweisung und des Glaubens. Es ist für die Kirche also wichtig, ein offenes Haus zu sein? Ich persönlich hänge sehr an der Vorstellung von Gastfreundschaft, von einer Kirche, in die man einkehren kann. Von Zeit zu Zeit organisieren wir übrigens Apéros nach dem Sonntagsgottesdienst, oder wir offerieren Wein und heisse Marroni an Weihnachten. Das schafft eine Verbindung unter den Menschen. Einmal haben wir auch ein Früh­ stück organisiert. Ich trage manchmal sogar den Gedanken in mir herum, ein komplettes Essen zu organisieren mit allem, was dazugehört, und dafür in der Kirche Tische aufzustellen. Das könnte zwar als mangelnder Respekt ausgelegt werden, aber das Göttliche ist auch das, was konkret gelebt wird. Es beschränkt sich nicht auf das Beten mit gedämpfter Stimme. Die Frage, für wen man ganz allgemein die Kirche öffnen soll, hat sich auch im Kirchgemeinderat gestellt. Sie steht Mitgliedern der Kirchgemeinde für Hochzeiten oder Beerdi­ gungen zur Verfügung, konnte aber auch an ka­ tholische oder evangelische Gruppen «ausgemie­ tet» werden, die für derartige Anlässe grössere Räumlichkeiten benötigten. Ich bin für die Öff­ nung, weil ich denke, dass sie einer Erwartung der Gesellschaft entspricht. Stempel für Durchreisende auf dem Pilgerweg. Tampon pour les pèlerins sur le chemin de Compostelle. ©Alena Lea Bucher

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