ENSEMBLE Nr. / N° 26 - März / Mars 2018

17 ENSEMBLE 2018/26 —– Fokus Institutionen sich öffnen und Migrantinnen an­ stellen sollen. So machen sich diese Institutionen unglaubwürdig. Was denken Sie, weshalb hält sich diese Haltung gegenüber Migranten und Migrantinnen so hart­ näckig? Migration ist ein politisch vergiftetes Thema. Dadurch verzerrt sich unser Bewusstsein, wie wir Migrantinnen wahrnehmen, und dies wirkt sich auf unsere Haltung aus. Viele Fachpersonen im Sozialbereich glauben, als Migrantin könne man in einer Organisation keine prägende oder leiten­ de Funktion übernehmen. Was muss geschehen, damit sich diese Annahme ändert? Es muss ein Perspektivwechsel stattfinden. Ein Perspektivwechsel, in dem die Schweiz in ihre Zu­ kunft investiert. Was heisst das konkret? Wir dürfen beim Thema Integration den Fokus nicht nur auf die Migrationsbevölkerung legen. Was bringt es, wenn wir den Migranten viele Schlüssel in die Hände geben, aber es öffnen sich keine Tü­ ren? Dann müssen wir eben bei den Türen ansetzen und schauen, dass auch diese sich öffnen lassen! Sie plädieren dafür, dass alle Menschen – ungeach- tet ihrer Herkunft – sich auf Augenhöhe begegnen. Verstehen Sie, dass diese Forderung in gewissen Kreisen auch Angst machen kann? Qualifizierte Migrantinnen und Migranten haben es oft schwer, in der Schweiz eine Stelle zu finden. Aysel Güllü Korkmaz, vor 17 Jahren als Kurdin aus der Türkei in die Schweiz geflüchtet, über das Potenzial, das so ver- loren geht. Von Selina Stucki* Aysel Güllü Korkmaz, Sie sind Erwachsenenbildne- rin, Sozialarbeiterin, interkulturelle Übersetzerin und haben einen Master in Erziehungswissen­ schaften. Trotzdem war es für Sie nicht einfach, eine Stelle zu finden. Weshalb nicht? Gerade Migrantinnen, die wie ich studierten, haben es oft schwer: Fürs Kaffeeservieren sind sie überqualifiziert, doch in der akademischen Welt finden sie aufgrund unterschiedlicher strukturel­ ler Hürden keine Stelle. Alle meine Stellen habe ich bisher über Kontakte und durch mein viel­ seitiges Engagement gefunden. Vielen Migrantin­ nen fehlen jedoch diese Kontakte. Wie erlebten Sie Ihre Stellensuche? Ich habe mich erfolglos auf viele Stellen im Migrationsbereich beworben. Einmal rief ich bei einer Institution an und erkundigte mich nach einer ausgeschriebenen Stelle. Die Personalver­ antwortliche sagte zu mir – ohne überhaupt nach meinen Qualifikationen zu fragen –, dass sie eine Fachperson suchen würden. Sie ging wegen mei­ nes nicht ganz perfekten Deutschs davon aus, dass ich gar keine Fachperson sein kann! War dieses Erlebnis ein Einzelfall? Nein. Bei meiner Stellensuche erlebte ich, ge­ rade auch bei Hilfswerken und Institutionen, die sich auf die Arbeitsvermittlung für Migranten spezialisiert haben, dass die nötige Sensibilität fehlt. Oft vergeben sie begehrte Stellen an Perso­ nen, die sich gesellschaftlich bereits etabliert haben. Gleichzeitig predigen sie, dass andere «MIGRATIONS- ERFAHRUNG ALS POTENZIAL ANSEHEN» MIGRATION Zur Person Aysel Güllü Korkmaz musste aufgrund politischer Unruhen im Jahr 2000 ihr Studium in der Türkei abbrechen. Sie floh daraufhin in die Schweiz, wo sie ihre Ausbildung fortsetzte. Heute arbeitet sie unter anderem bei der Reformierten Kirche Biel. Als selbst­ ständige Erwachsenenbildnerin bietet sie Weiterbildungen und Workshops zu migrationsspezifischen Themen an. Gerne gibt sie auch in Ihrer Kirchgemeinde einen Workshop. Kontakt: aysel.korkmaz@ref-bielbienne.ch * Mitarbeiterin Fachstelle Migration

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