ENSEMBLE Nr. / N° 27 - April / Avril 2018

28 Kreuz und quer —– ENSEMBLE 2018/27 « G O T T E S K R Ä F T I G E R A N S P R U C H » Ein neues Buch zur Kirche im Widerstand Was tun als Kirche, wenn ein politisches Regime die Verkündigung des Evangeliums verunmöglicht? Was, wenn dieses Regime gegen die Würde der Menschen handelt? Ein Schulbeispiel dafür war die evangelische Kirche in Deutschland zu Zeiten des National- sozialismus. Von Matthias Zeindler* Schon früh versuchte Hitler nach seiner Macht­ übernahme 1933, die Kirchen «gleichzuschalten», sie inhaltlich und strukturell seinem Verständnis des Staates gemäss zu formen. Und grosse Teile der Kirche passten sich dem auch relativ schnell an. Ein «germanischer», heldenhafter Christus wurde verkündigt. Und die Kirche sollte analog zum «Führerprinzip» aufgebaut sein, streng von oben nach unten. Gegen diese Bestrebungen gab es aber auch Widerspruch. Ein Teil der evangelischen Kirche, die sogenannte Bekennende Kirche, leistete Widerstand und versuchte mit einer eigenen Pfar­ rerausbildung und eigenen Kirchenstrukturen eine evangeliumsgemässe christliche Verkündi­ gung aufrechtzuerhalten. Gleichsam das Grün­ dungsdokument dieses Widerstands ist die «Bar­ mer Theologische Erklärung», die 1934 von einer Bekenntnissynode in der Gemarker Kirche in Wuppertal-Barmen angenommen wurde. In sechs prägnanten Thesen hielt man die zentralen Aus­ sagen des christlichen Glaubens in reformato­ rischer Tradition fest. Und ebenso deutlich wur­ den die nötigen Abgrenzungen vorgenommen: von fremden Autoritäten, vom Führerprinzip, von einem totalitären Staat oder von der Anpassung der Kirche an eigenmächtig gewählte Wünsche. Barmen vergegenwärtigen Im Frühling 2014, zum 80. Jahrestag der Barmer Erklärung, fand an der Universität Bern eine Ring­ vorlesung zu diesem zentralen Text statt, mitver­ antwortet von den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Dabei ging es nicht nur um eine historische Besichtigung, und erst recht nicht um die Verehrung von Helden aus dunkler Zeit. Viel­ mehr wurde versucht, die Aussagen der sechs Thesen sorgfältig nachzuvollziehen und nach ihrer Aktualität zu fragen. Ausserdem wurden die historischen Umstände ausgeleuchtet und ähn­ liche Vorgänge in der Schweiz aufgezeigt. Aber auch eine bedenkliche Lücke von «Barmen» kam zur Sprache, nämlich das Schweigen der Erklärung zur Verfolgung der Juden. Und ebenfalls nicht fehlen durften Wirkungen der Barmer Thesen etwa im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika. Die Vorträge der Ringvorlesung liegen nun ge­ druckt vor. Sie machen bewusst, wie sehr eine Kirche auch dann immer wieder den Ruf zu ihrer Sache braucht, wenn sie nicht unter politischer Unterdrückung zu leiden hat. Die Versuchungen, sich an anderem zu orientieren, sind immer da: das Geld, das öffentliche Image, die Furcht vor Mitgliederverlusten. Ein reformierter Text Besonders reizvoll an dem Band ist sein Akzent auf dem reformierten Profil der Barmer Erklärung. Dieses reformierte Profil überrascht nicht, wenn man weiss, dass der Hauptautor der Thesen der Schweizer Theologe Karl Barth war. Aber auch inhaltlich begegnet man zahlreichen reformierten Spuren. Etwa der Aussage, dass der Glaube an Christus das gesamte Leben umfasst. Oder dass die Kirche eine Gemeinschaft von Gleichberech­ tigten ist. Unmissverständlich reformiert ist vor allem der Gedanke, dass die Kirche sich Staat und Gesellschaft auch kritisch gegenüberstellen soll, wenn Unrecht geschieht. Allein diese Erinnerung lohnt die Lektüre des Buches. Magdalene L. Frettlöh (Hg.), «Gottes kräftiger Anspruch». Die Barmer Theologische Erklärung als reformierter Schlüsseltext, Zürich: Theolo- gischer Verlag, 2017, 352 Seiten, ISBN 978-3-290-17788-1, Fr. 40.– * Leiter Theologie

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