ENSEMBLE Nr. / N° 28 - Mai 2018

10 Dossier —– ENSEMBLE 2018/28 Dr. Vinzenz Wyss leitet die Professur für Journalistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er erklärt, was Medienschaffende beeinflusst und welche Rolle Social Media dabei spielen. Interview von Adrian Hauser Herr Wyss, wie werden Medienschaffende heute beeinflusst? Die journalistische Arbeit war immer in viel­ schichtige Kontexte eingebunden. Am wenigsten Einfluss haben persönliche Einstellungen der Me­ dienschaffenden, also beispielsweise das Ge­ schlecht oder politische Ansichten. Viel stärker sind ökonomische, organisatorische oder techni­ sche Ressourcen, die Medienunternehmen für professionellen Journalismus bereitzustellen ver­ mögen. Da ist etwa auch an den Zwang zu denken, sich an Klickzahlen zu orientieren. Die journalis­ tische Autonomie ist nicht zuletzt auch vom je­ weiligen politischen System abhängig. Am stärks­ ten beeinflusst wird das journalistische Handeln jedoch von eingeschliffenen Routinen und profes­ sionellen Regeln, die beispielsweise vorgeben, was im Journalismus Nachrichtenwert hat und was nicht. Neu ist, dass der Journalismus in der Öffent­ lichkeit sein «Gatekeeper-Monopol» verloren hat und immer mehr auch pseudojournalistische Ak­ teure als Konkurrenten in den Vermittlermarkt drängen. Inwiefern beeinflussen Social Media den Journalis- mus? Wenn man früher über das politische, wirt­ schaftliche oder gesellschaftliche Geschehen in­ formiert sein wollte, war man auf journalistische Medien angewiesen. Heute tummeln sich gerade auf den immer stärker genutzten Social-Media- Plattformen verschiedenste strategische Kommu­ nikatoren, die Eigeninteressen verfolgen und den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen versuchen. Und nicht zuletzt spielen Algorithmen den Nut­ zern die Informationen zu, die ihre Interessen widerspiegeln. Aber für die Konsumenten ist doch eine grosse Viel­ zahl an Wissensproduzenten begrüssenswert? Ja, wir müssen aber zugleich feststellen, dass durch die Digitalisierung des öffentlichen Raums die gesellschaftliche Wissensordnung ziemlich durcheinandergeschüttelt wird. Früher war klar: Wissenschaft hat ihren Wahrheitsbegriff, die Jus­ tiz oder die Theologie haben ihren und der Jour­ nalismus wendet eigene Verfahren der Wissens­ produktion an. Mit der Digitalisierung prallen im öffentlichen Raum unterschiedlichste Wahrheits­ konzepte aufeinander. Das öffnet auch Tür und Tor für leicht teilbare «Fake News». Wie versuchen Medienschaffende, wahr von falsch zu unterscheiden? Der Journalismus verwendet – etwa im Ver­ gleich zur Wissenschaft – einen relativ pragmati­ schen Wahrheitsbegriff. In der Regel begnügt er sich damit, eine zweifelhafte Information durch zwei unabhängige Quellen bestätigen und Be­ hauptungen gut begründen zu lassen. Dabei greift er im Sinne der Wahrhaftigkeit auf Standards wie Relevanz, Vielfalt und Transparenz zurück. Das reicht auch, um im öffentlichen Diskurs mit jour­ nalistischen Geschichten Orientierung zu stiften. Wie kann der Journalismus das Vertrauen ange- sichts der erodierenden Wissensordnung zurück- gewinnen? Medienkompetenz wird im digitalen Zeitalter zu einer sozialen Schlüsselkompetenz. Aber auch die Medienhäuser wären wie noch nie in der Pflicht, gegenüber dem Publikum transparent zu machen, wie sie arbeiten. Etwa indem der eigene UNTERSCHIEDLICHSTE WAHRHEITSKONZEPTE MEDIEN DIFFÉRENTS CONCEPTS DE LA VÉRITÉ MÉDIAS

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