ENSEMBLE Nr. / N° 28 - Mai 2018

14 Dossier —– ENSEMBLE 2018/28 Josef Estermann ist verantwortlich für Grundlagen und Forschung bei «COMUNDO», einer Organisation für personelle Ent- wicklungszusammenarbeit. Er wird befragt über Wahrheit in der Theologie. Interview von Heinz Bichsel Ist Wahrheit im interreligiösen und interkulturel- len Kontext überhaupt ein relevanter Begriff? Auch wenn sich die Postmoderne weitgehend vom Wahrheitsbegriff verabschiedet hat und einem relativistischen Perspektivismus das Feld überlässt, ist dies für den interreligiösen und interkulturellen Kontext nicht der Fall. Die plura­ listische Religionstheologie und die kritische Interkulturelle Philosophie halten an der «Univer­ salisierbarkeit» menschlicher Überzeugungen, Vorstellungen, Projekten und Normen fest. Aller­ dings nicht im Sinne von etwas, das bereits in unserem «Besitz» wäre, sondern das wir in und durch diese Dialoge erst gemeinsam erarbeiten müssen. Wie verstehen Sie theologische Wahrheit im Kon- text der Multireligiosität? Theologie hat sich mit der Vielfalt religiöser und nichtreligiöser Welt- und Daseinsdeutungen auseinanderzusetzen und dazu zu verhalten, ohne den eigenen Standpunkt im Sinne eines «Bekennt­ nisses» aufzugeben. Allerdings spielt dabei, aus­ gehend von der Befreiungstheologie, nicht so sehr die theoretische Wahrheit, also die Lehre oder das «Dogma», die entscheidende Rolle, sondern die praktische oder ethische Wahrheit im Sinne des richtigen Handelns. Der biblische Wahrheitsbe­ griff ist ein relationaler, also ein auf Beziehung gründender Wert. Wahrheit scheint ein mit universitärer Forschung oder Medienpräsenz teuer erkauftes Gut zu sein. In welchen Prozessen entsteht theologische Wahr- heit in Ihrer Wahrnehmung? In Zeiten von «Fake News» und «alternativen Tatsachen» braucht es tatsächlich eine besondere Anstrengung, die «Geister zu scheiden». Allerdings bin ich mir nicht mehr sicher, ob das vorwiegend im akademischen oder im massenmedialen Raum geschieht. Für mich ist diese Haltung eine prophe­ tische, also eine selbstkritische, die aber nur auf­ grund einer umfassenden Vision oder Utopie auf­ rechtzuerhalten ist. Im christlichen Kontext würde ich von «Reich-Gottes-Verträglichkeit» sprechen. Theologische Wahrheit muss also für eine Welt «EIN DIALOG IST UNABDINGBAR » RELIGION «UN DIALOGUE INDISPENSABLE » RELIGION ©zVg Josef Estermann

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