ENSEMBLE Nr. / N° 28 - Mai 2018

18 Dossier —– ENSEMBLE 2018/28 Nebst der Einschätzung von Expertinnen und Experten ist auch entscheidend, wie wir Bürgerinnen und Bürger als Medien- konsumierende mit Wahrheiten oder vermeintlichen Wahrheiten umgehen. ENSEMBLE hat in Biel verschiedene Passantin- nen und Passanten über den Wahrheits- begriff ausgefragt. Von Daria Lehmann Thomas Sulzener: «Wahrheit ist für mich eine grundlegende Lebenseinstellung – jedenfalls wäre es positiv, wenn dort Wahrheit dabei wäre. Ich finde das sehr wichtig im Umgang mit anderen Personen, besonders in Beziehungen. Für mich gibt es mehrere Wahrheiten, gerade in der Kirche gibt es wohl auch ver­ schiedene ‹wahre› Ansätze. Reli­ gion hat viel mit Spiritualität zu tun, und ich finde, da muss jede oder jeder selbst wissen, was die Wahrheit für sie oder ihn ist. Die Medien hingegen vertreten für mich eine sehr ‹langgezogene› Wahrheit. Es ist sicher immer et­ was Wahres dabei, aber das wird immer so aus­ gelegt, wie es den Medien gerade passt. Ich werde dann besonders skeptisch, wenn die Quellen nicht beidseitig sind – also dann, wenn Gegenstimmen fehlen.» Nadine Lack: «Für mich bedeutet ‹Wahrheit› Ver­ trauen. Wenn jemand nicht die Wahrheit sagt, fühle ich mich verarscht. Die Wahrheit kann man sich aber immer zurechtbiegen – was ist schon ‹wahr›? Ich bin reformiert, und bei der reformier­ ten Kirche habe ich das Gefühl, die sagen eher noch die Wahrheit – was ich aber sehr scheinhei­ lig finde, ist die katholische Kirche mit ihrem Zö­ libat und mit ihren Missbrauchsfällen. Das heisse ich überhaupt nicht gut. Ich finde, dort wird sehr viel ge- logen. Bei der re­ formierten Kirche kommt es vielleicht weniger ans Licht – andererseits haben sie aber auch das Zölibat nicht und sind freier, weshalb wohl weniger ge­ logen wird.» Susanne Hosang: «Es gibt für mich immer mehrere Wahrheiten. Am meisten Unwahrheiten gibt es wohl in der Familie. Bei den Medien denke ich überhaupt nicht, dass sie die Wahrheit sagen. Es gibt aber sicher wel­ che, die es versuchen. Man muss auch sagen: das ist gar nicht so ein­ fach. Und es wird auch nicht einfacher werden: Je weniger JournalistIn­ nen es gibt, je weniger Geld, je weniger Billag, desto schwieriger wird es, die richtige Wahr­ heit herauszufinden. Die Protagonisten der Reli­ gionen glauben alle, dass sie die richtige Wahrheit wissen, und sie streiten sich darum. Für mich gilt: ‹follow your heart›, man sollte sich selbst fragen, was nach dem eigenen Gefühl stimmen könnte.» J. Gut: «In Bezug auf die Medien habe ich es selbst erlebt, dass sie nicht die Wahrheit sagen. Ich habe etwas erzählt, und sie haben es dann ganz anders geschrieben, das ist ein Witz. Die Medien biegen sich alles zurecht, ob es dann wahr ist oder nicht, kann man nicht immer sagen, aber es wird immer für einen bestimmten Zweck auf bestimmte Wei­ WAHRHEIT, WAS IST DAS? STRASSENUMFRAGE LA VÉRITÉ, C’EST QUOI? MICRO-TROTTOIR ©Daria Lehmann ©Daria Lehmann ©Daria Lehmann

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