ENSEMBLE Nr. / N° 30 - Juli / Juillet 2018

11 ENSEMBLE 2018/30 —– Dossier beprozess abläuft. Wir sind ja enorm gut darüber informiert, was am Lebensanfang passiert, ausser Schrecken haben wir aber kaum eine Ahnung davon, was am Lebensende geschieht. Wissen vermindert die Angst vor dem Sterben? Ja. In der Ostschweiz haben wir ein ähnliches Projekt wissenschaftlich begleitet und stellten fest: Sobald Lebensende und Sterben in einer Ge­ meinde zum Thema werden, lässt sich über diese normalen Vorgänge besser reden. Nun überlegen wir, Schulen ein entsprechendes Angebot zu machen als Beitrag zur Normalisierung des Le­ bensendes. Wenn Sterben und Tod normale Vorgänge wären, was wäre anders als heute? Das Lebensende hätte ein warmes Image und einen hohen gesellschaftlichen Wert: Damit ver­ bunden wären Gefühle der Sicherheit, das Leben in Ruhe abschliessen zu können. Ein weiterer Hin­ weis wäre, dass eine Person mit einer fortschrei­ tenden Krankheit mit der medizinischen Fachper­ son über eine «Schlechtwetter-Planung» spricht: ein offener Dialog darüber, wie die Krankheit sich entwickelt, dass die Person möglicherweise daran sterben wird, was ihr angeboten werden kann, damit sie nicht leiden muss – statt das Thema Ster­ ben ängstlich zu umgehen. Das Sterben einer Patientin wäre keine Niederlage des Arztes ... ... keine Niederlage der Medizin insgesamt. Ein weiteres Merkmal wäre, dass es Tarife gäbe für die Vorbereitung auf das Lebensende, genauso wie es Tarife gibt für die Geburtsvorbereitung. Aktuell bauen wir die ambulanten Angebote unseres Zen­ trums aus. Wir wollen Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen frühzeitiger tref­ fen und mit ihnen zusammen systematisch Vor­ ausplanungen machen: medizinisch-pflegerische und vor allem bezüglich ihrer Lebensumgebung, die sehr relevant ist für ein gutes Lebensende. So gelingt es häufig, angstvoll gemiedene Fragen anzusprechen und zu klären. Was können Kirchen zu einem guten Lebensende beitragen? Unsere Erfahrung ist, dass die Menschen spiri­ tuelle Erfahrungen machen, wenn sie berührt werden, sei dies körperlich oder über einen ande­ ren Sinnesreiz. Spiritualität sollte so breit wie mög­ lich verstanden und von den Kirchen als Allge­ meingut vermittelt werden, nicht als etwas spezifisch Religiöses. Die christliche Lehre ist top­ aktuell in Fragen von Gemeinschaft und Zusam­ menleben, gerade auch, wenn es aufs Lebensende zugeht. Eine wichtige Zukunftsaufgabe sollte für uns alle sein, neu zu definieren, welche in Zeiten der Kleinfamilie die Beziehungssysteme sind, die genug Wärme und Support geben. Kirchen kön­ nen dabei gemeinschaftsstiftend und organisato­ risch hilfreich sein. Woran denken Sie konkret? Das Thema Hospiz ist aktueller denn je: Kir­ chen sind oft Mitträgerinnen von Langzeiteinrich­ tungen und können hier mitwirken. In den mobi­ len Palliativ-Equipen sind Seelsorgerinnen und Seelsorger mit Pflegefachleuten und Ärztinnen und Ärzten eingebunden. Kirchen können die Be­ völkerung einladen, über eigene Vorstellungen des Lebensendes zu diskutieren: In vielen Gemein­ den habe ich die Neugier der Leute erlebt, quasi auf dem grünen Tisch eine Vision des eigenen Lebensendes zu entwerfen, samt guten Rahmen­ bedingungen. Zur Frage «Wie halte ich es aus, als Mensch abhängig zu sein und mich gleichzeitig wertvoll zu fühlen in einer Gesellschaft, die derart leistungsorientiert ist?» könnten Kirchen Kurse anbieten. Was befähigt Freiwillige im Umgang mit Menschen am Lebensende? Freiwillige bringen die Faszination für die Be­ gegnung mit Menschen und ihren Lebensge­ schichten mit. Voraussetzung ist eine liebevolle Selbstrelativierung, damit sie nicht mit irgend­ welchen Superkonzepten hantieren. Die Auswahl und Betreuung der Freiwilligen durch ein Team der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn ist sehr gut. Wer sich meldet und angenommen wird, erhält das Angebot verschiedener Einführungs­ kurse, die von den Kirchen ökumenisch durchge­ führt werden. www.palliativzentrum.insel.ch ©zVg Steffen Eychmüller

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