ENSEMBLE Nr. / N° 33 - November / Novembre 2018

20 Fokus —– ENSEMBLE 2018/33 auszureisen. Wir dürfen ihnen auf keinen Fall irgendwelche Hoffnungen machen. Wir bieten wirklich nur einmal pro Woche während einer Stunde etwas menschliche Zuwendung, ein Ge­ spräch, ein wenig Abwechslung und den Kontakt zum Anwalt der KAZ, falls die Frauen es möchten. Wie gehen Sie bei einem Gespräch vor? Wir fragen die Frauen, wie es ihnen geht. Manchmal haben sie gesundheitliche Probleme oder es gibt irgendetwas, was ihnen fehlt und was wir bringen können, zum Beispiel Hautcrème oder eine Telefonkarte. Ich habe auch immer Taschen­ tücher dabei. Viele Frauen fangen an zu weinen. Ich versuche dann das Gespräch auf etwas Opti­ mistischeres zu lenken, so dass sie zum Beispiel etwas von ihrer Heimat oder von ihren Kindern erzählen. Wenn der Gesprächsstoff ausgeht, habe ich auch schon ein wenig Sprachkurs mit ihnen gemacht. Sie sind oft interessiert daran, einige Worte zu lernen oder über ihre Sprache zu spre­ chen. Dies ist meistens lustig und dadurch sind die Frauen ein wenig abgelenkt. Apropos Sprache: Wie verständigen Sie sich? Ich bringe ein Bildwörterbüchlein mit und habe alle möglichen Dictionnaires. Viele Frauen können einige Worte Deutsch. Man spricht ein Wort auf Englisch, ein Wort auf Deutsch. Es ist meistens ein wenig ein Durcheinander. Weil ich einige Sprachen spreche, kann ich mich meistens durch­ schlagen. Was nehmen Sie für sich persönlich aus diesen Begegnungen mit? Ich erhalte von den Frauen das Gefühl der Dank­ barkeit. Wenn ich das Gefühl habe, ich konnte ihnen etwas geben, ist dies eine Befriedigung für mich. F V I S I T E S D E F E M M E S D É T E N U E S E N A T T E N T E D E L E U R E X P U L S I O N Une heure d’attention humaine Sylviane Pache est bénévole au Service ecclésial des mesures de contrainte (SEMC) avec lequel elle rend visite à des femmes détenues dans un centre de renvoi. A l’occasion de notre inter- view, elle évoque ses rencontres avec des femmes du monde entier. Sylviane Pache engagiert sich als Freiwillige bei der Kirchlichen Anlaufstelle Zwangs- massnahmen (KAZ), indem sie Frauen in Ausschaffungshaft besucht. Im Interview erzählt sie von ihren Begegnungen mit den Frauen aus aller Welt. Interview von Evelyne Felder Frau Pache, was sind die Hintergründe der Frauen, die Sie besuchen? Die Frauen stammen überwiegend aus Afrika und Osteuropa. Viele von ihnen sind hierherge­ kommen, weil sie auf ein besseres Leben hofften. Bei einigen handelt es sich um Flüchtlinge, die abgewiesen wurden. Die meisten haben irgend­ eine furchtbare Reise hinter sich. Einige sind schon eine Weile in der Schweiz und haben hier Schlimmes erlebt. Es gibt Frauen, die schwarzge­ arbeitet haben, wenig Geld bekamen und sich verstecken mussten. Oder sie mussten sich pros­ tituieren. Wissen die Frauen, wie lange sie im Gefängnis sein werden? Wenn es um eine Ausschaffung ins Herkunfts­ land geht, werden die Verhafteten innerhalb von 96 Stunden einem Haftrichter vorgeführt. Dort wird ihnen meistens gesagt, sie würden recht lange inhaftiert. Dies sagen die Behörden vermut­ lich, weil man die Dauer nicht genau weiss und man ihnen nicht zu viele Hoffnungen machen will. Das macht die Frauen ziemlich verzweifelt. Aber meistens sind sie innerhalb von einer oder zwei Wochen weg. In der Regel sehen wir die Frauen nur einmal. Wissen die Frauen, wo sie hingehen können, nach- dem sie ausgeschafft wurden? Ich nehme es an, aber es ist schwer abzuschät­ zen. Manchmal sagen sie, sie hätten niemanden mehr im Heimatland, was ich meistens nicht so glauben kann. Die Frauen kommen oft aus Län­ dern, wo die Familien gross sind. Aber meistens wollen sie ja nicht ausgeschafft werden und stel­ len ihre Situation möglichst dramatisch dar. Was ist Ihre Rolle als Besucherin? Im Allgemeinen erwarten die Frauen von uns etwas mehr, als wir geben können. Wir können nichts machen, damit sie bleiben können. Wenn die Frauen im Gefängnis sind, sind sie dort, um B E S U C H E B E I F R A U E N I N A U S S C H A F F U N G S H A F T Eine Stunde menschliche Zuwendung

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