ENSEMBLE Nr. / N° 33 - November / Novembre 2018

24 Fokus —– ENSEMBLE 2018/33 Eine weitere grosse Gruppe sind Eingewanderte, die im Rahmen der EU unter die Personenfrei­ zügigkeit fallen. Nur weil sie aus Ländern der EU kommen, heisst dies nicht, dass sie deswegen kei­ ne Integrationsprobleme haben. Diese Personen­ gruppen spricht die Agenda nicht direkt an, weist aber darauf hin, dass man auch dort Integrations­ förderung betreiben muss. Sie haben gesagt, Integration muss früh anfangen. Wie früh? Wenn die Erwartung besteht, dass eine Person in der Schweiz möglichst bald selbständig ihr Überleben sichern muss, eigentlich ab dem ersten Tag. Viele, von denen wir früher angenommen hatten, sie würden zurückkehren, sind geblieben. Man hat ihre Integration versäumt und wundert sich nun, dass sie nur schlecht in den Arbeitsmarkt integriert sind. Man kann Menschen nicht meh­ rere Jahre in einem Zentrum «lagern» und dann glauben, dass die Integration später auf Knopf­ druck funktioniert. Gibt es spezielle Gruppen, die sehr grosse Schwie- rigkeiten haben? Heute sind es Somalier oder Eritreer oder ge­ nerell Leute mit einem niedrigen Bildungsniveau. Das Bildungsniveau ist hier in der Schweiz sehr wichtig, um ein selbständiges Leben führen zu können. Also kann man sagen, dass die Kompetenzen und deren Anerkennung zentral für die Integration sind? Ja, das kann man. Es wird zwar versucht, im Ausland erworbene berufliche Kompetenzen durch Validierungsverfahren anzuerkennen. Doch kürzlich hat mir ein Kantonsvertreter erklärt, das sei alles zu kompliziert. Deshalb vergesse man die Validierungsverfahren und setze lieber auf eine neue, vielleicht verkürzte, schweizerische Aus­ bildung. Man komme viel schneller ans Ziel, wenn man eine Person komplett neu ausbilde. Wie steht die Schweiz mit ihrer Integrationspolitik im internationalen Vergleich da? Sicher vergleichsweise gut. Ganz einfach des­ halb, weil wir reich sind und einen funktionieren­ den Staat haben. Das Schulsystem ist sehr gut und es gibt verschiedenste Institutionen, die einen sehr grossen Beitrag zur Integration leisten. Wir haben auch keine Ghettos oder andere Orte, wo die Leute getrennt von der Gesellschaft leben. Ich Dr. iur. Walter Schmid ist Präsident von HEKS und ehemaliger Direktor der Hochschule Luzern Soziale Arbeit. Als Mitglied des Club Helvétique ist er Mitverfasser des Positions- papiers «Integration neu denken». Er gibt Aus- kunft, was bei der Integration zu beachten ist und wo deren Herausforderungen liegen. Interview von Adrian Hauser Was sind für Sie die grössten Denkfehler bei der Integration? Es wird unterschätzt, wie viele Hindernisse es gibt. Nach wie vor ist der Zugang zum Arbeits­ markt, auch aus rechtlichen Gründen, sehr schwer. Viele Flüchtlinge haben zudem ein ungenügendes Bildungsniveau. Daher sollte man sich zuerst über­ legen, welche Integrationshindernisse es gibt und wie man diese beheben kann. In der Schweiz mit einem Ausländeranteil von zwei Millionen Men­ schen funktioniert aber vieles sehr gut. Wo sind die hauptsächlichen Hürden? Das sind einerseits rechtliche Probleme. Den Leuten fehlen teilweise aber auch wichtige Kom­ petenzen, wie Sprache, Vertrautheit mit der Um­ gebung oder berufliche Fähigkeiten. Berufliche Kompetenzen, die Migrantinnen und Migranten aus dem Heimatland mitbringen, werden hier oft nicht anerkannt. Was läuft momentan gut? Ich finde es sehr erfreulich, dass der Bund den Kantonen mit der Integrationsagenda wichtige und klare Zeichen setzt. Gemäss dem Bund sollte die Integration unabhängig vom Asylentscheid sehr früh beginnen. Das ist ein grosser Fortschritt. Positiv ist auch, dass die Integrationsförderung auch für vorläufig Aufgenommene vorgesehen ist und nicht nur für anerkannte Flüchtlinge. Damit wird eine sehr wichtige Gruppe mit eingeschlos­ sen. Das finanzielle Engagement wurde erhöht, was ich ebenfalls sehr begrüsse. Werden damit alle wichtigen Gruppen berücksich- tigt oder gibt es Lücken? Natürlich gibt es Lücken. In der Agenda selbst wird das auch erwähnt, dass die Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen nur 4 Prozent der Migrationsbevölkerung ausmachen. Viele kom­ men über den Familiennachzug und haben des­ wegen nicht minder grosse Integrationsprobleme. I N T E G R A T I O N V O N M I G R A N T I N N E N U N D M I G R A N T E N «Keine lineare Erfolgsgeschichte»

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