ENSEMBLE Nr. / N° 34 - Dezember / Décembre 2018

10 Dossier —– ENSEMBLE 2018/34 Der Alltag von Menschen, die ohne Auf- enthaltsbewilligung in der Schweiz leben und arbeiten, ist von vielen Einschränkungen geprägt. Kirchgemeinden können wertvolle Orte der Partizipation sein. Von Evelyne Felder* Die Angst aufzufliegen begleitet Erica überallhin. Sie meidet zu Stosszeiten öffentliche Plätze und geht ausser zur Arbeit kaum aus ihrer Wohnung. Mit einem Touristenvisum kam die Südamerika­ nerin in die Schweiz. Arbeits- und Mittellosigkeit hatten im Heimatland ihr Leben geprägt. Das Geld für die Ausbildung ihres Sohnes fehlte. So fällte die Mutter den schweren Entscheid, ihre Familie zu verlassen, um hier Arbeit zu suchen. Seit das Visum abgelaufen ist, lebt sie als Sans-Papiers. Erica ist eine von geschätzten 80 000 bis 250 000 Personen, die ohne geregelten Aufenthaltsstatus in der Schweiz leben. Sie kommen zu einem gros­ sen Teil aus Zentral- oder Südamerika, gefolgt von Personen aus Europa und Afrika. Viele von ihnen leben und arbeiten schon seit mehreren Jahren in der Schweiz. Etwa die Hälfte ist in Privathaushal­ ten tätig, daneben finden sie typischerweise auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder in der Gast­ ronomie Arbeit. Viele von ihnen zahlen AHV-Bei­ träge, einige gar Steuern auf ihren Lohn. Und doch werden sie kaum wahrgenommen. So auch Erica, die schnell gelernt hat, nicht aufzufallen. Doch ein Leben im Versteckten ist mit vielen Einschrän­ kungen verbunden. Prekärer Alltag Ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz zu leben, bedeutet, nicht legal arbeiten und kein eigenes Bankkonto eröffnen zu können, was wie­ derum die Wohnungssuche enorm erschwert. Es bedeute auch, Missbräuchen oder Übergriffen im sozialen oder beruflichen Umfeld ausgeliefert zu sein, da das Erstatten einer Anzeige bei der Polizei sehr wahrscheinlich zur Enthüllung des ungere­ gelten Aufenthalts führen würde, erzählt Andreas Nufer, Präsident des Vereins der Berner Beratungs­ stelle für Sans-Papiers. Unzählige Hürden wie bei­ spielsweise die Unmöglichkeit, ein Handy- oder ÖV-Abo zu kaufen, erschweren den Alltag von Sans-Papiers zusätzlich. Die prekäre finanzielle Situation, in der die meisten Sans-Papiers leben, und ihre Angst, entdeckt zu werden, verwehre ausserdem vielen den Zugang zu einer Kranken­ versicherung, so Andreas Nufer weiter. Alle diese Faktoren führten dazu, dass sich Sans-Papiers oft­ mals am Rande der Gesellschaft bewegten – sei es geografisch, ökonomisch oder sozial. Partizipation ermöglichen Die Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers unter­ stützt Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung in ihrem schwierigen Alltag. Sie hilft beispielsweise beim Abschluss einer Krankenversicherung, bei der Einschulung von Kindern oder den adminis­ trativen Vorbereitungen für eine Heirat. Sie prüft auch, ob eine Regularisierung über ein Härtefall­ gesuch möglich ist. Doch die Hürden dafür sind hoch. Damit diese Menschen dennoch die Chance auf gesellschaftliche Partizipation haben, brau­ chen sie private Netzwerke. An dieser Stelle sind Kirchgemeinden von Bedeutung. Sie können einen geschützten Rahmen bilden, wo Sans-Papiers Beziehungen aufbauen und am Gemeindeleben teilnehmen können. Wichtig sei, dass die Kirch­ gemeinden ein Ambiente schaffen, das offen sei für alle, so Andreas Nufer. Darüber hinaus leisten viele Kirchgemeinden Sensibilisierungsarbeit im Bereich der Sans-Papiers. Für Andreas Nufer ist dies ein Grund zur Hoffnung, dass das Bewusstsein und der Wille der Bevölkerung, etwas für diese unsichtbare Personengruppe zu tun, wachsen. * Fachstelle Migration F S A N S - P A P I E R S Vivre dans l’ombre Vivre et travailler en Suisse sans autorisation de séjour? C’est le parcours du combattant. Les pa- roisses, comme lieux du vivre-ensemble, peuvent constituer une précieuse ressource. Par Evelyne Felder* La peur lui colle à la peau. La peur d’être attrapée. Elle évite les lieux publics aux heures de pointe et se terre dans son appartement en dehors des heures de travail. Elle, c’est Erica, une Latino qui est entrée en Suisse avec un simple visa touristique, pour fuir le chômage et la précarité de son pays et pour trou­ ver de quoi financer la formation de son fils. Une femme qui a pris la terrible décision de quitter sa famille pour trouver du travail. Depuis que son vi­ sa est échu, Erica est entrée dans la caste des sans-papiers. Ils seraient entre 80 000 et 250 000 à S A N S - P A P I E R S Ein Leben im Versteckten

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