ENSEMBLE Nr. / N° 38 - Mai 2019

20 Fokus —– ENSEMBLE 2019/38 beispielsweise, dass es unsere Berufung ist, die Talente, die Gott uns anvertraut hat, treu ein­ zusetzen, egal ob es viele oder wenige sind (Mtth. 25,14-30) – oder Mahnungen von Paulus an die Thessalonicher wie: «Ihr erinnert euch doch noch an unsere Mühe und Anstrengung, liebe Ge­ schwister, dass wir – als wir euch die gute Bot­ schaft Gottes predigten – Tag und Nacht gearbei­ tet haben, um niemand von euch zur Last zu fallen» (1. Thess 2,9), oder gar: «Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen» (2. Thess. 3,10). Es lassen sich also sowohl für befürwortende und ab­ lehnende Standpunkte biblische Zitate bemühen. Ein selbstbestimmtes Leben Die Würde des Menschen gründet vor allem auch auf seinen Fähigkeiten, die er in die Gemeinschaft einzubringen vermag – und über solche verfügt jeder Mensch. Diese sollten wir in jedem Men­ schen suchen und ihn ermuntern, sie zu nutzen, und ihn nicht einfach mit Geld abfinden. Wir soll­ ten jedem Menschen etwas zutrauen und ihn er­ mutigen, im Rahmen seiner Möglichkeiten – und sind diese noch so klein – seinen Beitrag zu leisten. Genau das möchte das revidierte Sozialhilfegesetz, indem es gerade auch die Hilfe zur Selbsthilfe för­ dert und die Sozialhilfebeziehenden mittels Mass­ nahmen zur Arbeitsintegration motiviert. Teilhabe am sozialen Leben ist mehr, als sich in einem Restaurant einen Kaffee leis­ ten zu können. Teilhabe ist, mitzutun. Zwar mag es für die Gesellschaft gelegentlich bequemer sein, Menschen von der Sozial­ hilfe ausgestattet zu wissen. Mit dieser Art von Sozialhilfe stempeln wir jedoch eine Gruppe von Menschen faktisch dazu ab, nie mehr auf eigenen Beinen zu stehen. Gleich­ zeitig schaffen wir neue Ungerechtigkeiten, indem Menschen, die sich bemühen, ihr Leben selber zu verdienen, schlechter fah­ ren als jene, welche unterstützt werden und denen alle Mühe je länger, je mehr abge­ nommen wird. Die Sozialhilfegesetzrevision des Gros­ sen Rates will das ändern. Menschen sollen ermuntert werden, ihr Leben in die Hände zu nehmen und ihren Beitrag zu leisten. Dazu darf man auch als Christ durchaus Ja sagen. * Theologe und Präsident des Kirchgemeindeverbands Leserbrief zum Kommentar über die Revision des Sozialhilfegesetzes von Daniel Winkler im ENSEMBLE Nr. 37 / April, S. 17 Von Hansruedi Spichiger* In der Revision des Sozialhilfegesetzes wird viel über Frankenbeträge diskutiert und leider viel zu wenig darüber, was das Gesetz auch für neue Akzente setzt und dass jeder Mensch über Fähig­ keiten verfügt, die man entdecken und fördern soll. Die Sozialhilfe ist ein wichtiges Instrument, um Menschen, die in Not geraten sind, aufzufan­ gen – in unserem Land soll niemand Not leiden. Aber wir sollten auch niemanden einfach ab­ schreiben, indem wir davon ausgehen, dass er oder sie ein Leben lang auf Sozialhilfe angewiesen sein wird und dass nur ein ausreichend hoher Betrag seine Würde wirklich gewährleistet. Berufung auf die Bibel? Mit gutem Recht kann man für oder gegen die Revision des Sozialhilfegesetzes sein. Aber mit Be­ rufung auf biblische Zitate zu suggerieren, aus christlicher Sicht könne man nur dagegen sein, ist doch etwas problematisch. Es lassen sich näm­ lich ebenso biblische Zitat finden, welche die Revision unterstützen könnten. Bedenken wir R E V I S I O N S O Z I A L H I L F E G E S E T Z Menschen zur Selbständigkeit ermuntern LESERBRIEF

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