ENSEMBLE Nr. / N° 39 - Juni / juin 2019

11 ENSEMBLE 2019/39 —– Dossier Gesichtern lernen dazu und übernehmen zuneh­ mend das, was bis jetzt in der Begegnung zwischen Menschen geschah: Pflege, Beratung, Trost. Joel Luc Cachelin, Autor des Buches «Internetgott», stellt Fragen wie: Was passiert, wenn immer mehr Roboter und künstliche Intelligenzen Teil der Ge- sellschaft werden, brauchen auch sie einen Gott – und ist es der gleiche wie unserer? Die Frage ist, was mit den überlieferten Vor­ stellungen von Gott passieren wird. Die Bibel er­ zählt Geschichten, persönliche Begegnungen, Erfahrungen und Ereignisse, die ein enges Ver­ hältnis zwischen Gott und Menschen spiegeln. Und nun entsteht dieses virtuelle Gegenüber, das von einem ganz viel weiss, einen tröstet, berät. Offenbar brauchen immer mehr Menschen das gewohnte Gottesbild nicht mehr; es wird nicht eins-zu-eins von heute auf morgen virtuell, aber vielleicht auf Dauer immer bedeutsamer. Was macht die Digitalisierung mit uns und unse- rem religiösen Verständnis? Früher gaben Gebete und Gottvertrauen Orien­ tierung und Schutz. Heute holen wir sie uns via Apps, zu Gesundheit, Wetter, Literatur, Partner­ vermittlung. Die Apple-Watch warnt vor einem drohenden Herzinfarkt. Menschen suchen immer mehr nach Gewissheit – die Computerindustrie und ihre Algorithmen liefern zunehmend gott­ ähnliche, allwissende Informationen, bieten Le­ bensorientierung. Darauf sind wir ja angewiesen – und die Digitalisierung bietet unglaubliche Möglichkeiten. Die Unternehmen haben den An­ spruch, Perfektion zu schaffen, Sicherheit, Unend­ lichkeit, Allgegenwart. In den USA hat eine Pro­ grammiererin aus der E-Mail-Korrespondenz mit einem Freund nach dessen Unfalltod ein Pro­ gramm entwickelt, das ihr den weiteren Aus­ tausch mit ihm ermöglicht. Und weil ihr Pro­ gramm im Laufe der aktuellen Korrespondenz dazulernt, kann der «Verstorbene» auf Gescheh­ nisse eingehen, von denen er zu Lebzeiten noch gar nichts wusste. Dieses Programm ist ein grosser Erfolg in den USA. Sind solche Geschichten wirklich die richtigen Bei- spiele, um – allenfalls skeptische – Kirchenleute für die Digitalisierung zu gewinnen? Für mich sind das Aufweck-Geschichten: Die digitale Welt zeigt viel übers Menschsein, führt Grundbedürfnisse und Fragen vor Augen, welche die Menschen umtreiben. Sehnsüchte, Sinnfragen, Bedürfnis nach Beziehung, Austausch, Anerken­ nung. Es wäre kurzsichtig, dies als banal abzutun. Damit nimmt die Kirche die Leute nicht ernst. Sie sollte vielmehr genau wahrnehmen, was im Netz läuft. Ohne Vorkenntnisse und Netzerfahrung wird das nicht gehen ... Ja, da muss man vieles lernen. Zu unserem For­ schungsprogramm gehören auch Fortbildungen für haupt- und nebenamtlich in der Kirche Tätige. Dabei geht es um die Technik, um juristische Fra­ gen, um Themen wie Privatheit, Zeitaufwand und Grenzen digitaler Kommunikation, um das eigene Selbstverständnis ebenso wie um die Frage, wie wir uns Kirche in der digitalen Welt vorstellen, wie wir kommunizieren. Wenn wir wie auf Twitter nur wenige Zeichen zur Verfügung haben, müssen wir inhaltlich Farbe bekennen. Es ist Chance und Herausforderung zugleich, die eigene Theologie prägnant und profiliert zu formulieren. Wie wollen Sie Kirchenleute fit machen fürs pro- filierte Kommunizieren im und mit dem Netz? Mit Forschung und Angeboten für den kompe­ tenten theologischen und digitalen Medienge­ brauch. Der elementare Schritt für Kirchenleute ©Olivia Item Thomas Schlag

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