ENSEMBLE Nr. / N° 42 - Oktober / Octobre 2019

11 ENSEMBLE 2019/42 —– Dossier Fragestellungen haben sich geändert. Früher hat­ ten Paare andere Vorstellungen von Beziehung als heute. Ich denke, das Bedürfnis, in gelingenden Beziehungen zu leben und Geborgenheit zu fin­ den, ist ein menschliches Grundbedürfnis, das nicht abgenommen hat. Wie haben sich die Bedürfnisse der Paare in diesen Jahren verändert? Früher hat man sich stärker an traditionellen Werten orientiert. In den Beratungen ging es oft darum wie die Beteiligten sich innerhalb dieses Wertesystems bewegen können, damit es beiden gutgeht. Geben und Nehmen sollten ausgeglichen sein. Heute besteht ein grosses Tempo. Ein Fami­ liensystem ist oft überbelastet. Früher waren Frauen in der Erziehung tätig und der Mann fürs Geldverdienen zuständig. Heute wollen und sollen beide alles können. Jeder Frau wird empfohlen, den Beruf bei der Familiengründung beizubehal­ ten. Väter möchten heute tendenziell mehr bei der Erziehung mithelfen. Familien wollen den oft immens hohen Anforderungen gerecht werden und kommen damit häufig an Grenzen. Weitere aktuelle Konfliktfelder erzeugt der Umgang mit den sozialen Medien. Durch die vielen Kommuni­ kationsmöglichkeiten steigt das Potenzial für Eifersucht. Früher träumte man von jemandem, hatte z. B. einen Flirt in einer Bar oder eine ver­ steckte Aussenbeziehung. Heute werden Aussen­ beziehungsfantasien und -wünsche vermehrt auch über soziale Medien ausgelebt. Man hat mehr Kontrollmöglichkeiten: Handys können ge­ ortet oder Chats des Partners durchgelesen wer­ den. Der Wunsch, mit dem eigenen Partner Aus­ schliesslichkeit zu leben, ist bei den meisten Paaren nach wie vor vorhanden. Wenn dann z. B. der Partner oder die Partnerin jemandem innig schreibt oder sich auf Partnerschaftsplattformen bewegt, kann dies zu Eifersuchtsszenen und Krisen führen. Wie haben sich Paar- oder Beziehungskonstella­ tionen verändert? In den letzten Jahren wurde es vielfältiger. Ein Phänomen, das es früher weniger gab, sind die Patchworkfamilien. Heute kommt es häufig vor, dass sich Paare trennen, obwohl die Kinder noch im Schulalter oder jünger sind. Man geht neue Partnerschaften ein und zieht vielleicht sogar wie­ der mit dem neuen Partner zusammen, eventuell sogar mit Kindern aus der ersten Beziehung. Zwei verschiedene Welten treffen aufeinander, was un­ glaubliche Ansprüche an alle Beteiligten stellt. Vor zwanzig Jahren waren Homosexualität oder Bisexualität eher ein Tabuthema, wie sieht es heu- te damit aus? «Heute besteht ein grosses Tempo. Ein Familiensystem ist oft überbelastet.» Ida Stadler Seit 2007 gibt es die eingetragenen Partner­ schaften. Die Offenheit gegenüber nicht traditio­ nellen Beziehungsformen ist sehr viel grösser ge­ worden. Vermehrt kommen auch homosexuelle Paare zu uns in die Beratung. Offenheit und Akzep­ tanz der Beratenden ist eine notwendige Voraus­ setzung für eine gelingende Zusammenarbeit. Was waren wichtige gesetzliche Änderungen in den letzten zwanzig Jahren? 2014 wurde beschlossen, dass auch unverhei­ ratete Paare mit Kindern den Antrag auf gemein­ sames Sorgerecht stellen können. Früher war das ©Alena Lea Bucher

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