ENSEMBLE Nr. / N° 42 - Oktober / Octobre 2019

19 ENSEMBLE 2019/42 —– Fokus kann noch etwas von der ursprünglichen Bedeu­ tung erahnt werden. Sogar Sportler wie Roger Federer können nur leisten, wenn andere mitleis­ ten. Gemeinsam leisten und verletzlich sein ist das, was uns miteinander verbindet. Verletzlich sind wir alle, es ist einfach nicht bei allen gut sichtbar. Von der praktischen Seite betrachtet ist es wichtig, auch heikle Themen anzusprechen, wie Stellenprozente, IV-Leistungen, bauliche He­ rausforderungen und Unsicherheiten im Umgang mit Behinderungen. Welchen Wunsch hast Du an die Kirche? Behinderte nicht als Seelsorgeobjekte in den Blick nehmen, sondern sie teilhaben und teilneh­ men lassen wie alle anderen. In der Bibel über­ nehmen Menschen mit einer Behinderung oft besondere Aufgaben. Mose wurde trotz Sprachbe­ hinderung zum Sprecher des Volkes Israel, Jakob hat sich erst als Hinkender mit Esau versöhnt und da gibt es noch Hanna, Paulus und viele andere. Solche biblischen Geschichten können den eige­ nen Blick auf die Welt und auf die Menschen ver­ ändern. * Mitarbeiterin Sozialdiakonie Für Andreas Köhler, Pfarrer und Leiter KOPTA (Koordinationsstelle für Praktikumsbezogene Theologische Ausbildung), gehört die Be- wegungseinschränkung (Plexusparese) am rechten Arm seit Geburt zum Leben. Er war Mitglied der deutschen Behindertenmann- schaft und 1998 Vizeweltmeister im Volley- ball. Der zweifache Familienvater kommt aus Dortmund und ist verheiratet. Von Helena Durtschi* Wie nimmt Dich Dein Umfeld wahr? Als ganz normalen Menschen. Mir ist das recht, ich bin ja mehr als meine Behinderung. Dürfen Menschen Dich auf Deine Behinderung ansprechen? (lacht) Natürlich, das gehört dazu. Kinder sind wunderbar, sie fragen direkt. Wo kommen Deine besonderen Fähigkeiten zum Ausdruck, wo hast Du Schwierigkeiten? Ich kenne meine körperlichen Grenzen. Durch meine Behinderung musste ich oft selber heraus­ finden, wie ich etwas lernen kann. Als Ausbildner habe ich so auch den Blick für Lernwiderstände und kann Studierende ermutigen, Schemen zu durchbrechen und Dinge anders anzugehen. Als Rechtshänder bin ich beim Feinmotorischen auf Hilfe angewiesen, auch habe ich immer Schmer­ zen. Damit lässt sich aber ein Umgang finden. Was gewinnen Kirchgemeinden, die eine Person mit Handicap anstellen? Einen ganz normalen Menschen, der genauso anders ist wie die anderen. Und jemanden, der gegen die Normierung von Lebensideen und für Verletzlichkeit einsteht. Durch meine Behinde­ rung ist meine Verletzlichkeit sichtbar. In seelsor­ gerlichen Gesprächen wirkt das wie ein Türöffner, viele Menschen geben mir einen Vertrauensvor­ schuss. Was ist, wenn Menschen mit Handicap weniger leistungsfähig sind? Nina Verheyen zeigt in ihrem Buch «Die Erfin­ dung der Leistung», dass der Begriff, wie wir ihn verstehen, nämlich als individuelle Leistung, eine Erfindung aus dem 19. Jahrhundert ist. Leistung ist etwas, was nur gemeinsam erbracht werden kann. Im Ausspruch «ich leiste dir Gesellschaft» I N T E R V I E W M I T A N D R E A S K Ö H L E R Ganz normal anders ©zVg Andreas Köhler, Pfarrer und Leiter KOPTA. Andreas Köhler, pasteur et chef du Bureau de coordination de la formation théo­ logique (KOPTA). In der Sommersynode 2019 wurde das Postulat Buchter «Die Kirche als soziale Arbeitgeberin» abgeschrieben. Informationen unter: www.refbejuso.ch > Inhalte > menschen-mit- handicaps Zu den vom Synodalrat beschlossenen Mass­ nahmen gehören u. a. auch Öffentlichkeits­ arbeit durch Berichte von Menschen mit Han­ dicaps ... In ENSEMBLE werden in regelmässigen Abständen Menschen mit Handicap, die in der Kirche arbeiten, vorgestellt.

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