ENSEMBLE Nr. / N° 43 - November / Novembre 2019
16 Dossier —– ENSEMBLE 2019/43 «Mit Bestürzung, Besorgnis und Unverständ- nis hat der Synodalrat der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn von der einge- leiteten Überprüfung mehrerer tausend vor- läufiger Aufnahmen bei Eritreerinnen und Eritreern Kenntnis genommen.» Der Synodal- rat richtete 2018 klare Worte an Simonetta Sommaruga. Von Isabelle Knobel* Diesem politischen Engagement ging bereits ein grosser Einsatz kirchlicher Akteure voraus, die für einen menschlichen Umgang mit eritreischen Flüchtlingen einstanden; nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch durch gelebte Hilfsbereit schaft. Und der Einsatz für ein Leben in Würde hält an. Viele Jahre dauert die Debatte über Flücht linge aus Eritrea in der Schweiz nun schon. Am Anfang bekamen alle zumindest eine vorläufige Aufnahme. Eritrea ist eine autoritäre Diktatur mit unbefristetem Nationaldienst, willkürlichen Ver haftungen und Folter. Mit Deutschunterricht, Kaffee-Treffs oder anderen Angeboten engagier ten sich viele Freiwillige in Kirchgemeinden für die Integration der Aufgenommenen. Doch die Luft wurde für die eritreischen Flüchtlinge immer dünner: Eine Debatte entbrannte über die vielen Asylgesuche aus Eritrea und die Zustände in dem Land. Drei Grundsatzurteile des Bundesver waltungsgerichts sorgten für eine deutliche Ver schärfung ihrer Situation. Der Synodalrat hat zum Ausdruck gebracht, dass er die Verschärfungen als nicht faktenbasiert erachtet und sie als Aus druck einer Asylpolitik verurteilt, die mehr dem hohen innenpolitischen Druck Rechnung trägt als der tatsächlichen Schutzbedürftigkeit der Ge suchstellenden. Kein Rückübernahmeabkommen Die Folge der Verschärfungen war, dass viele auch bereits länger in der Schweiz lebende Eri treerinnen und Eritreer einen negativen Asylent scheid mit Wegweisungsverfügung erhielten. Da es kein Rücknahmeabkommen mit Eritrea gibt und es für die Betroffenen kaum einschätzbar ist, was mit ihnen bei einer Rückkehr geschehen wür de, bleiben die Flüchtlinge lieber in der Nothilfe oder tauchen unter. Carsten Schmidt, Fachstellen leiter Migration bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, erläutert: «Ich frage die Leu te immer: Würden Sie zurückkehren, wenn es nur wahrscheinlich ist und keine Gewissheit, dass Sie bei Ihrer Rückkehr nicht willkürlich inhaftiert oder gar gefoltert werden?» Ein Leben mit Not hilfe ist ein Leben in Armut und Hoffnungslosig keit: Auch bereits gut integrierte Eritreerinnen und Eritreer mussten ihre Wohnung, Arbeit oder Lehre aufgeben und verloren ihre Zukunftspers pektive. 8 Franken pro Tag und dürftige Notunter künfte dienen dem Ziel, die Schweiz als Aufent haltsland unattraktiv zu machen. Viele Freiwillige in Kirchgemeinden setzen sich weiterhin für die Abgewiesenen ein: Sie unterstützen sie, sorgen für eine minimale soziale Integration oder bieten sogar eine Unterkunft an. Für die Rechte abgewiesener Asylsuchender steht auch die Petition «Eine Lehre – Eine Zukunft»; sie fordert, dass die Abgewiesenen wenigstens ihre Lehre fortsetzen und beenden dürfen. Vom unermüdlichen Einsatz Freiwilliger bis hin zu einem offenen Brief der Kirchenleitung: Viele Bemühungen zeugen von dem Wunsch, eritreischen und anderen Asylsuchenden in der Schweiz ein Leben in Würde zu ermöglichen. Ganz im Sinne einer Kirche, die sich für die Notleiden den einsetzt – unabhängig davon, welcher Natio nalität diese angehören und welchen Aufenthalts status sie haben. A B G E W I E S E N E E R I T R E E R I N N E N U N D E R I T R E E R Ein Leben in Würde * Praktikantin Fachstelle OeME, Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn ©Peter Eichenberger 8 Franken pro Tag und dürftige Notunterkünfte dienen dem Ziel, die Schweiz als Aufenthaltsland unattraktiv zu machen. 8 francs par jour et des abris d’ur- gence de qualité médiocre rendent la Suisse peu attrayante pour un séjour.
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