ENSEMBLE Nr. / N° 43 - November / Novembre 2019

19 ENSEMBLE 2019/43 —– Fokus dass viele Frauen durch Flucht und Gewalt trau­ matisiert sind, betonen Wyssmüller und Ghebray: «Wir sind ein Kurs-, kein Therapieangebot.» Frauen in schwierigen psychischen Situationen weisen sie, als Ergänzung zum Kurs, in eine psychosoziale oder therapeutische Sprechstunde weiter. In sechs Sequenzen lernen die Frauen – ab der 22. Schwangerschaftswoche – anhand von ana­ tomischen Bildern und Modellen und durch Übun­ gen ihren Körper besser kennen. Sie erfahren, wie eine normale Geburt abläuft, erhalten Informatio­ nen über Vaginaluntersuchungen, Einlauf und Kaiserschnitt. Aber auch die wichtigsten Passagen der Einverständniserklärung, die sie beim Spital­ eintritt unterschreiben müssen, erklärt die Dol­ metscherin Sara Ghebray. Informationen und Aus­ tausch seien wichtig, sagt die Hebamme, «doch die Hälfte jeder Kurssequenz ist der körperlichen Geburtsvorbereitung gewidmet». Vertrauen, Beziehung – und ein Fest Während Geburtsvorbereitungskurse boomen, ge­ hört zu den Besonderheiten der Mamamundo-Kurse, dass schwangere Migrantinnen nicht leicht zu erreichen und für den Kurs zu gewinnen sind. Hebammen der Universitätsklinik für Frauenheil- kunde am Inselspital, sensibilisierte Mitarbeiten­ de in Asylunterkünften und von Sozialdiensten, Gynäkologinnen und Schlüsselpersonen der Com­ munity weisen Mamamundo auf schwangere Frauen hin – diese werden von den Dolmetsche­ rinnen kontaktiert und auf den Kurs hingewiesen. «Sich in einem Kurs auf die Geburt vorzubereiten, ist ein westliches Konzept», sagt Doris Wyssmüller. Die oft sehr jungen Migrantinnen müssten von der Wichtigkeit und Nützlichkeit erst überzeugt werden. «Am besten funktioniert es, wenn ein Ver­ trauensverhältnis entsteht», erläutert Sara Ghe­ bray. Dafür brauche es viele persönliche Gesprä­ che, Geduld und hartnäckiges Dranbleiben. Einige Zeit nach der Geburt der Kinder trifft sich jede Gruppe noch einmal: Gemeinsam und schnitt, vor ärztlichen Interventionen, die sie je nach Herkunftsland als Eingriffe in den natür­ lichen Ablauf einer Geburt verstehen. Werdende Mütter stärken Sara Ghebray und Doris Wyssmüller leiten seit Jahren Mamamundo-Kurse. Sara Ghebray arbeitet als interkulturelle Dolmetscherin und Mediatorin; sie lebt seit 20 Jahren in der Region Bern. In Eritrea liess sie sich zur diplomierten Pflegerin ausbilden und hat sich hier als Fachangestellte Gesundheit und in Medizinaltechnik weitergebildet. Ihr me­ dizinischer Hintergrund, ihre Kenntnisse verschie­ dener Kulturen und Sprachen ermöglichen ihr das so wichtige kontextuelle Übersetzen zum Nutzen der werdenden Mütter, insbesondere aus Eritrea und dem Jemen. Doris Wyssmüller ist Hebamme, Kursleiterin, Mitinitiantin und heute Co-Geschäfts­ leiterin des Vereins Mamamundo. In ihrer Arbeit am Frauenspital erlebt sie hautnah die Verunsi­ cherung und Ängste von Gebärenden, die ihre Nöte und Bedürfnisse mangels Deutschkenntnis­ sen kaum ausdrücken können und von den Ge­ schehnissen im Gebärsaal oft überfordert sind. Um solche Situationen zu minimieren, entwickelte sie zusammen mit ihrer Berufskollegin Anja Hurni die Mamamundo-Kurse, die seit 2012 in Bern und 2017 in Biel angeboten werden. Finanziert wird der Ver­ ein grösstenteils von der Kantonalen Gesundheits- und Fürsorgekommission (GEF), den Kranken­ kassenbeiträgen, mit geringen Beiträgen der Teilnehmerinnen sowie mit Spenden, 2019 auch vom Bereich OeME-Migration der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Das lizenzierte Kurs­ konzept kann als Modell von anderen Kantonen übernommen werden. Bei dieser Multiplikation ist Gesundheitsförderung Schweiz GFCH involviert und stellt die finanziellen Ressourcen zur Ver­ fügung. «Bei Bedarf», so Wyssmüller, «coachen wir Interessierte und geben unsere Erfahrungen gerne weiter.» Wenn Mütter und Freundinnen fehlen Die Geburt eines Kindes sei für jede Frau ein prä­ gendes Erlebnis, unabhängig von ihrer Herkunft, sagt Doris Wyssmüller. Aufgrund von Erfahrungs­ berichten sei aber davon auszugehen, dass Mig­ rantinnen bei Schwangerschaft, Geburt und Wo­ chenbett oft schwierige Momente erlebten, die mit ihrer sozialen Situation zusammenhängen. Dazu gehören Unsicherheit und Einsamkeit, weil die Mutter, weibliche Verwandte, Freundinnen fehlen; Momente voller Nervosität und Angst, weil wegen fehlender Sprachkenntnisse drängende Fragen oder der richtige Zeitpunkt für den Eintritt ins Spi­ tal nicht telefonisch mit der Hebamme geklärt werden können. Mit Blick auf die vielfältigen Mi­ grationsgründe von Frauen und imWissen darum, ©zVg Die Geburt eines Kindes sei für jede Frau ein prägen- des Erlebnis, unabhängig von ihrer Herkunft. La naissance d’un enfant est une expérience forma- trice pour chaque femme, quelle que soit son origine. ©zVg

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