ENSEMBLE Nr. / N° 44 - Dezember / Décembre 2019

16 Dossier —– ENSEMBLE 2019/44 G L Ö C K N E R I N E I N I G E N «Ich bin mit jeder Glocke per Du» Dominik Däppen ist leidenschaftlicher Glöckner in der Kirche Einigen, in der Nähe von Spiez. Einmal in der Woche, am Samstag- abend, und zu besonderen Anlässen läutet er die Glocken. Töne und Geräusche faszinieren ihn, das auch wegen seines Asperger-Autismus. Von Alena Lea Bucher Michael, Gloria, Friedens- und Heimatsglocke heissen die vier Glocken, die im Kirchturm der romanischen Kirche am Thunersee hängen. «Mit jeder Glocke bin ich per Du», sagt Dominik Däppen. Damit meint er, dass jede Glocke ihr Eigenleben hat, jede schlägt anders, man muss sie gut kennen, um mit ihnen umgehen zu können. Wenn sie nicht im richtigen Rhythmus schlagen, verheddern sich beispielsweise die Glockenseile ineinander. Als Glöckner oder Glöcknerin braucht es ein Feingefühl für Rhythmus, nur an Seilen ziehen klappt nicht. Seit nun rund 10 Jahren ist Dominik Däppen Glöckner in der Kirche Einigen. Das Glockenschlagen beherrscht er, als hätte er nie etwas anderes getan. Zwei Glocken zu spielen, war zu Beginn schwierig für ihn, doch Übung macht den Meister. Mit der Zeit trauten ihm die Sigristen immer mehr zu. Heute schult er sogar die neuen Sigristen und Sigristinnen betreffend Glocken. Gerne gibt er sein Handwerk weiter. Glockenklänge sind wohltuend für die Seele Aufgewachsen ist Dominik Däppen in der Thuner­ see-Region. Schon von klein auf ist er von Glocken begeistert. Er meint, die Begeisterung sei vielleicht sogar bis in sein zweites Lebensjahr zurückzu- führen, als er auf einem Ausflug mit Eltern und Götti in der Stadtkirche Solothurn im Turm den Klöppel an der grossen Glocke anschlug. Gepackt hat ihn später vor allem der Disneyfilm «Der Glöck­ ner von Notre Dame». «Ich erfuhr in diesem Film, dass man Glocken nicht nur einfach per Schalter zum Läuten bringt, sondern sie eben auch selbst spielen kann.» 2008 hielt er dann einen Vortrag in der Schule über das Berner Münster. Er ging dazu das Münster besichtigen und erfuhr, dass es dort die grösste Glocke der Schweiz gibt. «Ich konnte das Glockenschlagen im Turm miterleben. Die Glocken gaben so grosse Klangvibrationen, dagegen ist eine Klangschale nichts. Das sind andere Gewichtsdimensionen, denn die grösste Glocke wiegt etwa zehn Tonnen. Die grosse Müns­ terglocke ist meine Lieblingsglocke.» Der junge Mann mag die Vibration und den Klang der Glo­ cken, sie wirken auf ihn sehr beruhigend. Wenn er selbst die Glocken schlägt, ist das wie ein Got­ tesdienst für ihn. Denn die Glocken, im Gegensatz zu manchen Predigten, versteht er. Jede Glocke hat einen eigenen Charakter Sein Wissen holt sich Dominik Däppen grössten­ teils aus dem Internet und aus Dokumentationen; doch nicht nur mit Glocken aus ganz Europa kennt er sich aus, sondern auch mit Dampfmaschinen, beispielsweise Schiffsmaschinen. Er könnte prob­ lemlos jede Schiffsmaschine von den Schweizer­ seen nur anhand des Geräuschs erkennen. Bei den Glocken ist es schon etwas schwieriger. «Neue Glocken haben fast keine eigene Handschrift mehr, weil sie klanglich bis ins kleinste Detail kor­ rigiert werden können, alte wiederum können sehr unterschiedlich klingen.» An vielen Orten werden Glocken auch nicht mehr von Hand ge­ spielt, sondern durch Elektronik. Das ist schade, denn oft gibt es Leute wie Dominik Däppen, die dazu bereit wären, Glocken noch von Hand zu schlagen. Es ist sein Wunsch, dass die Glocken in Einigen noch lange so erhalten bleiben, wie sie jetzt sind. Wer sich dafür interessiert, selbst einmal das Glockenschlagen auszuprobieren, kann sich bei Chefglöckner Dominik Däppen melden: d.d@die-optimisten.net © Alena Lea Bucher Dominik Däppen vor der Kirche in Einigen. Dominik Däppen devant l’église d’Einigen.

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