ENSEMBLE Nr. / N° 44 - Dezember / Décembre 2019

20 Dossier —– ENSEMBLE 2019/44 Wir alle haben Begegnungen mit Menschen mit einer Hörbehinderung. Viele haben, mit ihrer Gebärdensprache, für uns Hörende eine Geheimzeichensprache. Heute wird es aber immer einfacher, sich zwischen hörend und gehörlos zu verständigen. Von Andreas Fankhauser* Bis vor sechs Jahren begegnete ich einer älteren Frau aus der Gebärdengemeinschaft regelmässig, während ich im Tram sass und sie an der Halte­ stelle auf ihre Verbindung wartete. Durch die Scheibe begannen wir uns auszutauschen. Gewöhnlich ging die Unterhaltung thematisch nicht über den Austausch von Höflichkeiten hinaus. Ein- oder zweimal wünschte sie, dass ich vorbeikam, um sie bei einem technischen Problem oder beim Ausfüllen eines behördlichen Formulars zu unterstützen. Ich hoffte dann, dass der Halt ge­ nügend lange dauerte, um einen Termin ab­ zumachen, sonst hätten wir dann per Fax ab­ gemacht. Normalisierung Die Kommunikation tauber Menschen hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. Früher war das Gebärden an den Sprachheilschulen nicht erlaubt. Im Versteckten gebärdeten die Schüler trotzdem. Heute sind zum Glück gehörlose Päda­ gogen und Pädagoginnen angestellt, welche Kultur, Geschichte und Gebärden der Gehörlosen vermitteln. Durch die neuen Technologien hat sich auch die Kommunikation über längere Distanzen normalisiert. Es gab früher die Möglichkeit des Schreibtelefons, dieses Gerät war teuer und hatte G E B Ä R D E N S P R A C H E Durch die Scheibe * Teamkoordinator Hörbehindertengemeinde Bern Wortfallen für Hörende Auf Gottes Wort hören Nebengeräusche bei etwas Klingt gut Möglichkeiten mit ähnlichem Sinn Auf Gottes Wort achten Themen, welche Einfluss hatten Finde ich gut www.procom-deaf.ch die Grösse einer kleinen Schreibmaschine. Über eine Vermittlungsstelle konnte dann mit hören­ den Menschen kommuniziert werden. Später folgte dann der «Fax», hier war der Vorteil, dass die angefaxte Person nicht zu Hause sein musste. Mit dem Aufkommen der Mobiltelefonie und damit den Kurznachrichten (SMS) und dem Inter­ net und E-Mail verfügen nun gehörlose Menschen über frei verfügbare Kommunikationsmittel. Schnittstellen zu hörenden Menschen In der direkten Begegnung empfehle ich die gesprochene Schriftsprache mit deutlicher Arti­ kulierung in normaler Lautstärke. Vielfach werden taube Menschen nicht verstanden, da ihre Artiku­ lation fremd tönt; hier kann ein Notizblock helfen. Bei wichtigen Gesprächen mit Arbeitgebern, Behörden oder Ärzten und Ärztinnen sind Gebär­ densprachdolmetschende ein Segen. Es gibt einen Dolmetschdienst der Procom, um die Kommunikation mit Hörenden über Text (SMS oder Internetchat) oder Videoübermittlung sicherzustellen. Hörbehindertengemeinde Bei der Begegnung mit unseren Gemeindemit­ gliedern passen wir uns dem Gegenüber an. Wir kommunizieren von Laut- bis zur Gebärden­ sprache, der jeweiligen Situation angepasst. Bei Vorträgen, Abdankungen und Gottesdiensten, bei welchen Hörende anwesend sind, setzen wir Gebärdensprachdolmetschende ein. Dolmetschen­ de übersetzen eins zu eins. Folgendes ist dabei zu beachten: Gehörlose Menschen haben bei einigen Begriffen und Vergleichen keine unmittelbare Er­ fahrung dazu. Deshalb muss ein Vortrag, ein Gebet oder eine Predigt für gehörlose Menschen anders formuliert werden. Für mich ist klar, dass gehör­ lose Menschen mit ihrem visuellen Zugang zur Welt einen Beitrag zur kulturellen Vielfalt der Menschheit leisten. ©Keystone /Robert Harding Die Unterhaltung fand durch die Scheibe im Tram statt. La conversation se déroule à travers la fenêtre dans le tram.

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