ENSEMBLE Nr. / N° 45 - Januar / Janvier 2020

4 Dossier —– ENSEMBLE 2020/45 KIRCHE SEIN UNTER NEUEN BEDINGUNGEN PFARRSCHAFT NEU BEI DER LANDESKIRCHE ANGESTELLT LES TEMPS CHANGENT, L’ÉGLISE DEMEURE LES ECCLÉSIASTIQUES CHANGENT D’EMPLOYEUR Ab 1. Januar 2020 sind die Pfarrerinnen und Pfarrer nicht mehr beim Kanton, sondern bei der Landeskirche angestellt. Dieser Schritt hat kirchengeschichtliche Bedeutung. Für unsere Kirche soll er vor allem ein Anlass sein, erneut den Auftrag Jesu Christi zu bekräftigen: in der Gesellschaft präsent zu sein und sich für die Menschen und die Schöpfung zu engagieren. Von Matthias Zeindler* Drei kirchengeschichtliche Einschnitte Der Film «Zwingli» dokumentiert überzeugend die welthistorische Bedeutung dieses Reforma­ tors. In eindrücklichen Szenen zeigt er aber auch, welche wichtige Rolle der Zürcher Rat bei der Einführung der Reformation spielte. Es war der Rat, der die Disputationen durchführte und damit das kirchliche Recht für sich in Anspruch nahm, über Glaubensfragen zu entscheiden. Gegenüber der mittelalterlichen Kirche war dies ein tiefer Einschnitt. In Bern verhielten sich die Dinge nicht anders. Es war der Berner Rat, der im Januar 1528 eine öffentliche Disputation auf der Basis von zehn Thesen veranstaltete, und es war der Rat, der die Thesen danach für schriftgemäss erklärte und ihre Umsetzung veranlasste. Damit war für die nächsten Jahrhunderte darüber entschieden, dass die weltliche Obrigkeit auch der Kirche vor­ steht. Die Staatskirchlichkeit dauerte im Kanton Bern bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Januar 1852 be­ schloss der Staat ein neues Kirchengesetz, das den Kirchen mehr Autonomie einräumte – ein neuer Einschnitt. Während der Kanton nach wie vor für den äusseren Rahmen sorgte, waren die Kirchen von nun an für die innerkirchlichen Angelegen­ heiten verantwortlich. Und die Kirchgemeinden wurden, in den Worten des Kirchenhistorikers Kurt Guggisberg, erstmals seit der Reformation «wirklich zur Besorgung ihrer eigenen Angelegen­ heiten eingesetzt». Die Aufteilung von inneren und äusseren An­ gelegenheiten fällt mit dem neuen Landeskirchen­ gesetz weitgehend weg – ein dritter Einschnitt also. Zwar unterstehen die Landeskirchen, die Kirchgemeinden und die Mitarbeitenden weiter­ hin staatlicher Gesetzgebung, die wichtigste «äus­ sere Angelegenheit» für die Pfarrerinnen und Pfarrer, ihre Anstellung, geht aber an die Kirchen über. Fortan ist es die Landeskirche, welche die Arbeitsverträge ausstellt und den Lohn überweist. Damit wird ein wichtiger Bereich den Kirchen zur eigenen Gestaltung übergeben. Dies bedeutet einen beträchtlichen Zugewinn an kirchlicher Selbständigkeit. Deshalb ist es nicht übertrieben, bei dieser Entflechtung von Kirche und Staat von einem Ereignis von kirchengeschichtlicher Trag­ weite zu sprechen. Neue Struktur – nicht neue Kirche Damit geht eine spezifisch bernische Form des Miteinanders von Kirche und Staat zu Ende. Mit der Anstellung ihrer Geistlichen gleichen sich die bernischen Landeskirchen den Kirchen anderer Kantone an. Und vor allem den Kirchen weltweit. Allerdings darf man die Neuordnung nicht überbewerten. Es geht um die Veränderung einer Struktur, nicht der Kirche. Und es geht um eine Weiterentwicklung, nicht um einen radikalen Schnitt. Die Kirche war bis Ende 2019 keine Staats­ kirche, und sie wird ab dem neuen Jahr nicht zur Freikirche. Und: Über die zentralen, nämlich die geistlichen Rahmenbedingungen für das Pfarramt hat die Landeskirche schon bisher bestimmt. Sie hat sich mit Verfassung und Kirchenordnung ihre inhaltliche Grundlage gegeben. Sie hat die Pfar* Prof. Dr. theol., Leiter Bereich Theologie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn

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