ENSEMBLE Nr. / N° 46 - März / Mars 2020

10 Dossier —– ENSEMBLE 2020/46 Der Altersforscher Andreas Kruse ist Professor für Gerontologie und Direktor des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg. Seine Forschung umfasst unter anderem Fragen der Menschenwürde und des guten Lebens im Alter. Von Renata Aebi und Pascal Mösli* Viele Menschen sehen dem hohen Alter mit Sorge entgegen. Altersbilder sind defizitorientiert und von Furcht vor Isolation und Abhängigkeit geprägt. Was macht demgegenüber ein «gutes Alter» aus? Wir stehen vor der Herausforderung, eine ver­ änderte Sicht des Alters zu entwickeln, die auf die seelisch-geistigen Kräfte in dieser Lebensphase Bezug nimmt und darstellt, in welcher Weise unsere Gesellschaft von der Nutzung dieser Kräf­ te profitieren könnte. Zu dieser veränderten Sicht des Alters gehört auch ein differenziertes Men­ schenbild, ein umfassendes Verständnis der Per­ son. Damit ist gemeint, dass der Alternsprozess nicht auf das körperliche Altern reduziert werden darf, sondern dass ausdrücklich auch seine see­ lisch-geistige Dimension wahrgenommen und geachtet wird, wodurch sich Entwicklungsmög­ lichkeiten bis ins hohe Alter ergeben. Und damit ist gemeint, dass die Verletzlichkeit und Endlich­ keit des Lebens grössere Akzeptanz in unserer Ge­ sellschaft finden werden und überzeugende For­ men des kulturellen Umgangs mit den Grenzen des Lebens entwickelt werden. Wie sehen diese Entwicklungsmöglichkeiten im hohen Alter konkret aus? In Ihrer Arbeit unter- scheiden Sie zwischen aktiver Selbst- und Welt- gestaltung. Bei der «Selbstgestaltung» sind mir zwei Be­ griffe wichtig: «Introversion mit Introspektion» und «Offenheit». Ausgangspunkt ist das Selbst, das ja in der psychologischen Forschung als Zentrum, als Kern der Persönlichkeit betrachtet wird. Das Selbst integriert alle Erlebnisse, Erfahrungen und Erkenntnisse, die das Individuum im Laufe seines Lebens in der Begegnung mit anderen Menschen, in der Auseinandersetzung mit der Welt, aber auch mit sich selbst und seiner Biografie gewinnt. «EINER TRAGE DES ANDEREN LAST » INTERVIEW MIT ANDREAS KRUSE « PORTEZ LES FARDEAUX LES UNS DES AUTRES» ENTRETIEN AVEC ANDREAS KRUSE * Pascal Mösli: Verantwortlicher Spezialseelsorge und Palliative Care; Renata Aebi: Projektmitarbeiterin; Bereich Sozial-Diakonie, Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn Andreas Kruse: «Der Alternsprozess darf nicht auf das körperliche Altern reduziert werden.» ©Universität Heidelberg – KuM

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