ENSEMBLE Nr. / N° 46 - März / Mars 2020
16 Dossier —– ENSEMBLE 2020/46 Cornelia Coenen-Marx ist evangelische Theologin und ehemalige Oberkirchenrätin der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Sorge für Kranke und Sterbende gehört für sie zur DNA der Kirche. Von Renata Aebi und Pascal Mösli* Was ist der Mehrwert von Caring Communities gegenüber der staatlich organisierten, professio- nellen Betreuung von Menschen im hohen Alter? Sorgende Gemeinschaften leben vom Mitein ander in der Nachbarschaft. Sie sind niedrig schwellig und alltagsnah. Es geht um Unterstüt zung bei Einkäufen, Arzt- und Friedhofsbesuchen, aber auch um eine Erzählstunde beim Zvieri oder einen Konzertbesuch. Sorge ist hier keinesfalls eine Einbahnstrasse – sie lebt wie alle Nachbar schaftshilfe von Wechselseitigkeit, die das Leben bereichert. Dabei sind Hochaltrige, Pflegebedürf tige und Sterbende nicht nur Hilfsbedürftige. Mit ihrer langen Lebenserfahrung haben sie zugleich viel zu geben. Anders als professionelle Betreu ungspersonen müssen freiwillig Engagierte nicht dauernd auf die Uhr schauen und auf Effizienz achten. Gleichwohl sind solche familienergänzen den zivilgesellschaftlichen Sorgegruppen darauf angewiesen, dass es verlässliche professionelle Hilfesysteme gibt, und sie tun gut daran, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wie würden Sie den Begriff der «Sorge» um schreiben? «Sorge» ist dem englischen Begriff «Care» ent lehnt und steht für alle Beziehungs- und Zuwen dungsarbeit privater wie professioneller Natur. Die feministische Theorie problematisiert mit dem Begriff die Dominanz einer ökonomisierten Sicht weise im Sozial- und Gesundheitswesen, die den Menschen zum blossen Kunden und Empfänger von Dienstleistungen macht. «Sorge» steht für das grundlegende, umfassende Füreinander-da-Sein, das sich nicht einfach in Zahlen umrechnen lässt. Die Selbstverständlichkeit, mit der private Sorge leistungen weitgehend kostenlos erbracht wer den, ist gleichwohl ein ebenso grosses Problem wie die Ökonomisierung des Sozial- und Gesund heitswesens. «Sorgende Gemeinschaften» stehen für gemeinsame Werte und Verantwortungs beziehungen; sie leben aus der Kooperation von Freiwilligen mit Berufstätigen. Dabei gehört der Blick auf die finanziellen und auf die zeit lichen Ressourcen zusammen – und auf den ge meinsamen «Spirit», der ganz unterschiedliche Menschen zusammenhält. Die Mehrheit der Menschen wünscht sich, zu Hause sterben zu können. Tatsächlich sterben aber die meisten in Spitälern und in Pflegeeinrichtun- gen. Was braucht es, damit die Vision Wirklichkeit werden kann? Zuallererst eine gute Zusammenarbeit zwi schen ambulanten Pflege- und Hospizdiensten, dem ärztlichen Dienst und den Seelsorgeange boten einerseits sowie Familien, Nachbarschaften, sorgenden Gemeinschaften andererseits. Dabei können Kirchgemeinden eine wichtige Brücken funktion übernehmen – in der professionellen Zusammenarbeit mit Arztpersonen und Wohl fahrtsdiensten, aber auch in der zivilgesellschaft « KIRCHGEMEINDEN HABEN EINE BRÜCKENFUNKTION » INTERVIEW MIT CORNELIA COENEN-MARX « LES PAROISSES ONT UN RÔLE DE PASSERELLES À JOUER» ENTRETIEN AVEC CORNELIA COENEN-MARX * Pascal Mösli: Verantwortlicher Spezialseelsorge und Palliative Care; Renata Aebi: Projektmitarbeiterin; Bereich Sozial-Diakonie, Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn
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