ENSEMBLE Nr. / N° 46 - März / Mars 2020

29 ENSEMBLE 2020/46 —– Fokus Wie lassen sich Glaube und Vernunft, Theologie und Ethik vereinbaren? Ich möchte mit einem Bild antworten. Jeder Fluss hat zwei Ufer, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwischen diesen beiden Ufern fliesst der Fluss, oder eben das Leben, mal mehr auf der linken, mal mehr auf der rechten Seite. Ein Fluss hat immer zwei Ufer, das Leben bewegt sich zwischen verschie­ denen Realitäten. Und es ist ja nicht so, dass die Vernunft, also die Wissenschaft, ohne Paradigmen, also Glaubenssätze, auskommt. Glaube und Ver­ nunft passen in diesem Sinne durchaus zusammen. Der Kurs widmet sich auch dem «Dialog mit dem Fremden». Wie haben Sie diesen Dialog mit ande- ren Religionen erlebt? Wir hatten beispielsweise Kontakt mit einer buddhistischen Zen-Meisterin, befassten uns mit islamischen Lehrinhalten und diskutierten, was die Religionen verbindet. Doch da habe ich nicht so angebissen. Die Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben gibt mir bereits genug zu tun. Ich habe sehr viel Respekt vor den anderen Religionen, und das vermittelt der Kurs auch. Zum Beispiel haben sowohl das Christentum als auch der Islam einen sehr humanistischen Hintergrund, wenn man die entsprechenden Stellen liest; aber sowohl im Alten Testament wie auch im Koran finden sich schreckliche Aussagen, wenn man ge­ wisse Texte wörtlich nimmt. Haben Sie im Kurs etwas vermisst? Vermisst nicht. Doch manchmal denke ich, eine Abschlussprüfung oder Abschlussarbeit wür­ de die Motivation der Teilnehmenden wie ich zum Lernen noch ein wenig steigern. Zudem tauchte bei mir immer wieder die Frage auf, was das Ge­ lernte jetzt mit mir zu tun hat. Wie spielt es in mein Leben hinein? Was bewirkt es bei mir? Aber jeder kann sich das auch für sich überlegen. Und, was hat der Kurs bei Ihnen bewirkt? (überlegt lange) Der Kurs hat mir den Wert von Glaubenspositionen wieder deutlicher gemacht. Ich hatte zuvor Abstand genommen von meiner frommen Herkunft und eine eher agnostische Hal­ tung eingenommen. Aber ein Agnostiker war ich nie, das ist mir zu eindimensional. Ich glaube ja auch etwas. Und ich will, um im Bild vom Fluss zu bleiben, nicht nur an einem Ufer sein. Manche würden vielleicht sagen, das sei intellektuell ein wenig unredlich, ich solle mich doch für ein Ufer entscheiden. Doch ich bin gerne im Fluss mitten­ drin, der eben von beiden Ufern gehalten wird. Ueli Corrodi: «Ich liebe diesen Kurs und besuche ihn jede Woche.» ©Olivier Schmid

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc3MzQ=