ENSEMBLE Nr. / N° 47 - April / Avril 2020

13 ENSEMBLE 2020/47 —– Dossier mit und innerhalb der Gesellschaft. Politik, Wirt­ schaft, Wissenschaft, Kunst oder Kultur folgen ihrer eigenen Logik, die wenig Austausch unter­ einander zulassen – eine Dynamik, die für moder­ ne Gesellschaften charakteristisch ist. Die Sozio­ logen Peter L. Berger und Thomas Luckmann stellten schon Mitte der 90er-Jahre fest, dass sich moderne Gesellschaften dadurch in einer ständig latenten Sinnkrise befinden – und diese nur im Zaum halten können, wenn es Institutionen gibt, die Brückenfunktionen wahrnehmen und die ge­ sellschaftlichen Gräben überwinden. Lange Zeit nahm die Kirche diese Funktion wahr. Aber heute erreichen die traditionellen Ge­ fässe der Kirche nur noch wenige Menschen. Vie­ le «basteln» sich ihre individuelle Religion, immer weniger Menschen wachsen in den Glauben hin­ ein und die Inhalte der christlichen Tradition ge­ hen immer mehr vergessen. Dies wirkt sich auch auf die reformierten Kirchen aus – und gipfelt nicht zuletzt in der Forderung, die Religion völlig aus der Öffentlichkeit zu verbannen und zur rei­ nen Privatsache zu erklären. So verändern sich der Kontext kirchlichen Han­ delns und die Möglichkeiten, die Botschaft von Gottes Liebe und Gerechtigkeit im Leben der Men­ schen zu vergegenwärtigen. Schon von ihrem Selbstverständnis her muss die Kirche allen For­ derungen, das Religiöse auf eine rein private Di­ mension zu begrenzen und die Kirchen aus dem öffentlichen Diskurs auszuschliessen, entschieden widerstehen. Die Kirche ist aber auf neue Initia­ tiven angewiesen, um die Botschaft des Evange­ liums von Jesus Christus auch in einer pluralis­ tischen Gesellschaft hör- und erfahrbar zu machen. Gemeinsame Suche nach Wahrheit Der Dialog ist bei «Reformierte im Dialog» Pro­ gramm: Nicht die Belehrung über den wahren Glauben steht im Zentrum, sondern die gemein­ same Suche auf Augenhöhe nach derjenigen Wahrheit, die das Leben von seinem Anfang bis ans Ende und darüber hinaus tragen kann. Die Kommunikation des Evangeliums wird dabei als gemeinsame Suchbewegung verstanden, die sich in allen gesellschaftlichen Handlungsfeldern be­ währen muss. Deshalb lädt die Fachstelle «Refor­ mierte im Dialog» ein zum Dialog zu aktuellen Themen im Schnittbereich von Ethik, Politik und öffentlicher Kultur. Der Tradition des reformierten Glaubens ver­ pflichtet, sucht die Fachstelle den Austausch über alle weltanschaulichen, religiösen und politischen Grenzen hinweg. Gäste und Interessierte erhalten neue Impulse zu Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung und der persönlichen Lebens­ führung. Die Veranstaltungen heissen «Salon TheoPhil», «Aktuelle Debatte» oder «Kunst und Religion im Dialog». Ziel ist es, die grossen, exis­ tenziellen Fragen wieder vermehrt aufs Tapet zu bringen: Was treibt mich an? Lebe ich meine Wer­ te im Beruf und im Privaten? Werde ich meiner Verantwortung gerecht? An welchen Werten hat sich die Politik zu orientieren? Die Anlässe und Angebote im Polit-Forum in Bern, im Zentrum Paul Klee und im Kunstmuseum Bern wollen die kriti­ sche Selbstverantwortung und einen aufgeklärten Umgang mit existenziellen, religiösen und gesell­ schaftlichen Fragen fördern. Sie ermöglichen die Vernetzung und schaffen Raum für die gemein­ same Reflexion. Veranstaltungen finden Anklang Die meisten Veranstaltungen sind öffentlich und richten sich an die breite Bevölkerung. Einzig der «Salon TheoPhil» im Berner Münster legt einen Fokus auf gesellschaftliche Verantwortungsträge­ rinnen und -träger, sei es in der Wirtschaft, in der ©Susanne Goldschmid Photography Raum für gemein- same Reflexion: Der Berner Stadt- präsident Alec von Graffenried zu Besuch im «Salon TheoPhil». Espace de réflexion commun: le maire de Berne, Alec von Graffenried, reçu au «Salon TheoPhil».

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