ENSEMBLE Nr. / N° 47 - April / Avril 2020

20 Dossier —– ENSEMBLE 2020/47 Sowohl Kunst als auch Religion erkunden das Mögliche, suchen nach Sinn und Wahrheit, fragen nach dem Unendlichen und Absoluten. Diesen Fragen gehen sie jedoch auf unter- schiedliche Weise nach – und in je eigenen Sprachen und Bildern. Treten sie miteinander in Dialog, eröffnen sich neue Sichtweisen: auf die Welt, den Menschen und die Gesellschaft. Von Olivier Schmid «Wer aus einer theologischen Perspektive auf Kunst blickt, stellt andere Fragen als jemand, der dies aus kunsthistorischer Perspektive tut», sagt Michael Braunschweig, Leiter der Fachstelle «Re­ formierte im Dialog» der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. «Die theologische und kunst­ historische Kunstbetrachtung können sich ergän­ zen und eine fruchtbare Auseinandersetzung über Bildinhalte, persönliche Spiritualität, gesellschaft­ liche Werte oder existenzielle Sinnfragen an­ regen.» Dies ist denn auch das Anliegen der Ver­ anstaltungsreihe «Kunst und Religion im Dialog», welche die drei Berner Landeskirchen und das Haus der Religionen gemeinsam mit dem Kunst­ museum Bern und dem Zentrum Paul Klee seit acht Jahren durchführen. Ein Pingpong der Perspektiven Der Name der Veranstaltungsreihe ist Programm: Die Kunstbetrachtungen werden dialogisch von einer Kunstvermittlerin und einem Vertreter der Berner Landeskirchen oder des Hauses der Religionen gestaltet. Im dialogischen Gespräch zwischen Kunst und Religion eröffnen sich neue Sichtweisen auf Kunstwerke aus Geschichte und Gegenwart. «Die theologische Kunstbetrachtung ermöglicht es, den kunsthistorischen Kontext un­ serer Ausstellungen aufzubrechen, die Kunst in Zusammenhang mit den grossen Fragen des Lebens zu stellen, mit den Erfahrungen des Menschseins zu verbinden und so dem ‹Wesent­ lichen› auf die Spur zu kommen», sagt Martin Waldmeier, Kurator im Zentrum Paul Klee. Auch Magdalena Schindler, Kunstvermittlerin im Kunst­ museum Bern, schätzt den Dialog mit der Reli­ gion: «Die theologische Sicht ist manchmal freier und assoziativer als die kunsthistorische Sicht. Da, wo wir in unserer kunsthistorischen Optik viel­ leicht etwas eingefahren sind, kann der Blick von aussen einen überraschenden Anknüpfungspunkt für eine Diskussion bieten. Darin liegt die Qualität des Dialogischen; wenn das Gespräch ein Ping­ pong der unterschiedlichen Perspektiven ist und sich das Fachwissen der Dialogpartnerinnen und -partner ergänzt.» Beat Allemand, der als Pfarrer der reformierten Kirchgemeinde Münster einmal pro Jahr an den dialogischen Führungen die theologische Pers­ pektive vertritt, erlebt seinerseits den Austausch mit der kunsthistorischen Sicht als Gewinn: «Die Religion läuft immer Gefahr, mit Scheuklappen durch die Welt zu gehen. Kunst kann eine Mög­ K U N S T U N D R E L I G I O N Dem Wesentlichen auf der Spur Die ganze Fülle des Lebens im Blick: an einer dia- logischen Führung in der Ausstellung «Die Revolution ist tot. Lang lebe die Revolution!». Toute la plénitude de la vie en un clin d’oeil: visite guidée de l’exposi- tion «La révolution est morte. Vive la révolution!». ©Kunstmuseum Bern

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