ENSEMBLE Nr. / N° 47 - April / Avril 2020

21 ENSEMBLE 2020/47 —– Dossier lichkeit sein, den Blick zu weiten. Wir müssen den offenen Dialog pflegen, unsere Weltbilder und Sichtweisen vergleichen und immer wieder kor­ rigieren und neu deuten. Es ist eine Bereicherung, wenn Kunsthistoriker, Theologinnen und die Teil­ nehmenden einen Dialog über Kunst führen», sagt er. Auch in persönlicher Hinsicht erlebt er die Führungen als Bereicherung: «Kunst ist etwas, das mich weiterbringt, aufwühlt, beschäftigt, mit Freude und Zufriedenheit erfüllt.» Michael Braun­ schweig, der als Theologe ebenfalls regelmässig als Dialogpartner durch Ausstellungen führt, er­ gänzt: «Im Dialog mit den Kunstvermittlerinnen und -vermittlern lerne ich die eigene religiöse Tradition aus dem Blickwinkel der Kunstgeschich­ te kritisch zu hinterfragen.» Die Stille eines Gemäldes Nicht jede Kunst eignet sich aber gleichermassen, theologisch betrachtet zu werden. «Wenn Gemälde einen explizit biblischen Inhalt haben, liegt es auf der Hand, dass man zunächst auf die Ikonographie fokussiert und der Theologe zum Experten wird, was die dargestellte Geschichte oder Deutung betrifft», sagt Magdalena Schindler. So etwa bei den Altarbildern von Niklaus Manuel oder dem Schweisstuch der Veronika auf einem Gemälde von Georges Rouault. Weitere Anknüpfungspunk­ te seien politische oder gesellschaftliche Themen. So wurden etwa im Kontext der Gurlitt-Ausstel­ lungen die Rolle der Kirchen während des Nazire­ gimes oder in der Ausstellung von Miriam Cahn die Konditionen des Menschseins und die Flücht­ lingsthematik diskutiert. Allerdings würden sich die spannenderen Gespräche oft dort ergeben, wo der Religionsbezug nicht auf den ersten Blick er­ sichtlich sei, etwa angesichts der Stille eines Ge­ mäldes von Mark Rothko oder inspiriert von den rätselhaften Himmelskörpern bei Meret Oppen­ heim. Auch Martin Waldmeier erachtet abstrakte Kunst als sehr geeignet für theologische Kunstbe­ trachtungen: «Sie haben einen sehr breiten Inter­ pretationsspielraum.» Für Michael Braunschweig ist die abstrakte Kunst für die theologische Be­ trachtung aber dennoch eine Herausforderung: «Bei Ausstellungen, deren Thema nicht direkt mit Religion im Zusammenhang steht, wie etwa zu frühen abstrakten Künstlern in der Ausstellung ‹Lang lebe die Revolution›, muss man die reli­ giösen Bezüge zuerst ausfindig machen und diese dann so vermitteln, dass sie für die Teilnehmen­ den verständlich sind.» Doch die Theologie nehme ja die ganze Fülle des Lebens in den Blick und sollte insofern auch in der Lage sein, sich zu allen Lebensphänomenen zu äussern. Ebenfalls eine Herausforderung sei, so Magda­ lena Schindler, dass sich zwischen den Dialogpart­ nerinnen und -partnern ein Dialog auf Augenhöhe entwickle und etwas in Gang komme, das sich auf das Publikum überträgt. Doch die Teilnehmenden folgten den Veranstaltungen meist hochkonzent­ riert und brächten sich auch ein. Für eine inten­ sive Auseinandersetzung während der einstün­ digen Führungen sei die Zeit aber zu knapp bemessen, bedauert Beat Allemand. Vieles bleibe an der Oberfläche. Dennoch schätzten die Teilneh­ menden die Gespräche über religiöse Themen. «Die Teilnehmenden waren bis jetzt immer be­ geistert», pflichtet Michael Braunschweig bei. «Viele von ihnen würden meist noch länger blei­ ben. Die Gespräche gehen nach den Führungen oftmals weiter.» Die nächste dialogische Führung findet am 26. April in der Ausstellung «Teruko Yokoi: Tokyo – New York – Paris – Bern» statt. Die Aus­ stellung im Kunstmuseum Bern verfolgt die Ge­ schichte und den wechselhaften Reiseweg einer ausserordentlich produktiven und lebendigen Künstlerin. Ihre Arbeiten bezeugen nicht nur ihre kreative Energie, sondern spiegeln in ihrer Zerrissenheit zwischen Orient und Okzident gleichzeitig auch die Debatten der Nachkriegs­ malerei der Moderne. Die Ausstellung führt eine umfangreiche Auswahl an Werken zusammen, die zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren ent­ standen sind – in jenem Zeitraum also, in dem das klassische künstlerische Vokabular neu be­ wertet wurde und Teruko Yokoi im Spannungs­ feld zwischen moderner Abstraktion und japa­ nischer Tradition ihre künstlerische Sprache herausforderte und Neues ausprobierte. www.reformierteimdialog.ch/kunst KUNST UND RELIGION IM DIALOG 2020 Eine gemeinsame Veranstaltungsreihe von Kunstmuseum Bern,Zentrum Paul Klee,den drei Landeskirchen und dem Haus der Religionen

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