ENSEMBLE Nr. / N° 48 - Mai / Mai 2020

10 Dossier —– ENSEMBLE 2020/48 WELCHE AUFGABE HAT DIE WIRTSCHAFT? ZWEI ÖKONOMINNEN – ZWEI ANTWORTEN QUELLE MISSION POUR L’ÉCONOMIE? DEUX ÉCONOMISTES, DEUX RÉPONSES «Wir brauchen eine Wirtschaft, die mensch- liche Bedürfnisse befriedigt», sagt Samira Marti, Nationalrätin und Vizepräsidentin der SP Baselland. «Ein Unternehmen muss gewinnorientiert arbeiten», sagt Franziska Hügli, Vizepräsidentin der FDP Kanton Bern. Ein Streitgespräch. Von Mathias Tanner* Laut dem Konzept «Wirtschaft ist Care» soll die Wirtschaft die menschlichen Grundbedürfnisse befriedigen. Dazu gehören frische Luft, sauberes Wasser, Nahrung, Kleidung und Sicherheit, aber auch medizinische Versorgung, Zuwendung und Beschäftigung. Gelingt das der Wirtschaft? Marti: Nein. Die heutige Wirtschaftsweise funktioniert lediglich über Preismechanismen und Eigentumsverhältnisse. Dabei geht es nicht darum, was die Menschen zum Leben brauchen, sondern welche Investitionen möglichst viel Ge­ winn bringen. Ein gutes Beispiel ist die Rüstungs­ industrie: Während der Eskalation zwischen den USA und dem Iran Anfang Jahr machten die In­ vestoren dank der steigenden Aktienkurse der Rüstungsunternehmen Millionengewinne – übri­ gens auch die Schweizerische Nationalbank. Ob­ wohl kriegerische Auseinandersetzungen den menschlichen Grundbedürfnissen fundamental widersprechen. Hügli: Ja, absolut. Wirtschaft ist, wenn die Men­ schen, egal ob in einem privaten Unternehmen oder beim Staat, mit den ihnen zur Verfügung ste­ henden Ressourcen Produkte und Dienstleistungen herstellen, die einem Bedürfnis entsprechen. In­ dem die Menschen diese Bedürfnisse nachfragen, entstehen ein Angebot und ein Markt. Das Schmier­ mittel für diesen Markt ist Geld. Damit können die Menschen ihre Grundbedürfnisse befriedigen. Was ist die Aufgabe der Wirtschaft? Geht es um die Befriedigung der Grundbedürfnisse oder um Profitmaximierung? Marti: Dazu braucht es erst einmal eine Be­ griffsklärung. Wirtschaft und Unternehmen wer­ den oft gleichgesetzt. Die Wirtschaft sind aber wir alle, auch Arbeitnehmer und Konsumentinnen. Wir alle brauchen eine Wirtschaftsweise, die menschliche Bedürfnisse befriedigt. Laut einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung besetzt die Schweiz den Spitzenplatz, wenn es darum geht, andere Länder von einer nachhaltigen Entwick­ lung abzuhalten. Schuld daran ist vor allem unse­ re Finanz- und Wirtschaftspolitik. Wir nehmen Ländern im globalen Süden Steuersubstrat weg, das dort für eine gute Gesundheitsversorgung, öffentliche Güter oder wirksamen Klimaschutz dringend gebraucht würde. Samira Marti: «Jede sinnhafte Arbeit soll bezahlt werden.» * Mitarbeiter Bereich OeME-Migration der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn ©zVg

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