ENSEMBLE Nr. / N° 48 - Mai / Mai 2020

12 Dossier —– ENSEMBLE 2020/48 ganz viele junge Leute den älteren beim Einkau­ fen. Und sie machen es gerne. Ihr Lohn ist die Dankbarkeit dieser Menschen. Diese eigenverant­ wortliche Motivation hilft uns in vielen Bereichen des Lebens, in denen wir tausend kleine und manchmal auch grössere Dinge unentgeltlich tun, den Lohn nicht in Geld, sondern in Wertschät­ zung, Anerkennung und Dankbarkeit zu suchen und zu finden. Das Konzept «Wirtschaft ist Care» fordert auch einen nachhaltigen Umgang mit natürlichen Res- sourcen. Wie schätzen Sie die Lage ein? Marti: Die Klimakrise deckt das totale Versagen des real existierenden Kapitalismus auf. Wir wis­ sen seit fünfzig Jahren, dass unendliches Wachs­ tum und das Erdölzeitalter existenzielle Probleme mit sich bringen werden. Doch geändert hat sich nichts. Das ist kein Zufall. Von den zehn grössten Unternehmen der Welt sind deren sechs fossile Energiekonzerne, dazu kommen zwei Autoher­ steller. Sie sind es, die «unsere Zivilisation opfern, damit eine kleine Gruppe Menschen extrem viel Geld verdienen kann», wie es Greta Thunberg treffend formulierte. Solange wenige reiche Men­ schen ihren politischen und wirtschaftlichen Ein­ fluss absichern, wird sich daran nichts grund­ legend ändern. Hügli: Wirtschaften an sich bedeutet ja, mit meist knappen Ressourcen eine von der Gesell­ schaft nachgefragte Arbeitsleistung zu erzielen. Eine funktionierende Wirtschaft wird sich darum immer nach Alternativen umsehen, wenn eine Ressource knapp wird. Wir sehen das zum Beispiel bei der Mobilität. Weil fossile Brennstoffe zur Neige gehen, boomen die Elektroautos. Aber da­ hinter steckt ein immenser Forschungsaufwand der Autohersteller und Zulieferer. Diesen Aufwand müssen sich die Unternehmen leisten können. Und die Bevölkerung muss es sich leisten können, ein funktionierendes Dieselauto durch ein Elektro­ auto zu ersetzen. Deshalb ist das beste Rezept für die nötige Transformation hin zu einem nachhal­ tigeren Umgang mit natürlichen Ressourcen eine funktionierende Wirtschaft. Welche konkreten Massnahmen schlagen Sie vor? Marti: Wir müssen als Erstes den Schweizer Finanzplatz zurückbinden. Es braucht ein Verbot von Investitionen in fossile Rohstoffe, Lenkungs­ abgaben auf Kapitaleinkommen, eine grüne staat­ liche Investitionsbank, die zinsfreie Kredite für Projekte zur Reduktion von CO 2 -Emissionen ver­ gibt, kurz: Wir müssen die gesellschaftliche In­ vestitionsfunktion zurückerobern, damit wir wie­ der als Gesellschaft darüber entscheiden, wofür das Kapital gebraucht werden soll, und nicht nur eine kleine Gruppe von Reichen. Hügli: Selbstverständlich soll die Politik diesen Prozess begleiten. Indem sie alles daran setzt, die Forschung voranzutreiben und auch den Unter­ nehmen ermöglicht, in ihre Weiterentwicklung zu investieren. Sie kann beispielsweise steuerliche Anreize schaffen, um diesen Prozess hin zu einem nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen voranzu­ treiben. Und sie darf auch da und dort für die grossen Sünder mit gewissen Abgaben einen ne­ gativen Anreiz schaffen. Die grösste Aufgabe ha­ ben aber wir als Zivilgesellschaft. Jeder einzelne von uns kann der Umwelt Sorge tragen, das Thema im Freundeskreis ansprechen, Ideen von anderen aufgreifen. Das erzielt eine viel nachhaltigere Wir­ kung als irgendwelche Verbote oder Vorschriften. Weil wir dann eigenverantwortlich und aus Über­ zeugung handeln und nicht, weil es uns jemand vorschreibt. www.wirtschaft-ist-care.org ©Keystone /Martin Glauser

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