ENSEMBLE Nr. / N° 48 - Mai / Mai 2020

18 Dossier —– ENSEMBLE 2020/48 Es braucht eine Transformation der wachs- tumsorientierten Wirtschaft, einen nach- haltigeren Konsum, mehr lokale Kooperatio- nen. Zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich an den grundlegenden Bedürfnissen der Menschen und einem schonenden Umgang mit Ressourcen orientieren, zeigen Wege auf, wie Wertschöpfung und Sinnstiftung auch verstanden werden können. Fünf Beispiele aus Bern. Von Olivier Schmid «Biete Englischstunden» – «Brauche Hilfe bei der Veloreparatur» – «Leiste Zügelhilfe» – «Benötige Unterstützung bei der Steuererklärung»: Was die Bewohnerinnen und Bewohner von Bern früher auf gut Glück auf Anschlagbrettern der Quartier­ läden suchten, finden sie heute bei «bazore» ge­ bündelt auf einen Blick. 2006 von der Bevölkerung und der Quartierarbeit Bern Ost lanciert, zählt die Onlineplattform und Monatszeitung inzwischen rund 600 Such- und Hilfsinserate von mehr als 300 Menschen aus der ganzen Stadt. Ziel von «bazore» ist jedoch nicht allein die Wiederbelebung der Nachbarschaftshilfe. Die Menschen sollen befähigt werden, ihre Kompe­ tenzen sichtbar zu machen und diese durch den Austausch von Hilfsleistungen sinnstiftend einzu­ setzen. Tauschwährung ist dabei nicht Geld, son­ dern Zeit. Jede Hilfeleistung zählt gleich viel und wird dem persönlichen Zeitkonto gutgeschrieben. Kinderbetreuung wird mit Deutschunterricht ge­ tauscht, Transportdienste mit Haushaltshilfe, Gar­ ten- mit Näharbeit. «Es ist interessant zu sehen, in wie vielen Bereichen man auch ohne Geld aus­ kommt», sagt Elena Ramelli, Mitinitiantin und Koordinatorin von «bazore». Die Teilnehmenden erhielten so Zugang zu Leistungen, die sie sich nicht leisten können. Zudem kämen Menschen aus allen Generationen, Kulturen und sozialen Schichten miteinander in Kontakt: Ältere mit Jun­ gen, Migrantinnen mit Einheimischen, Erwerbs­ lose mit Berufstätigen. «Dies finde ich sehr wich­ tig. Und im besten Fall entstehen Kontakte, die über die Hilfsleistungen hinausgehen.» Teilen statt kaufen Auch «Pumpipumpe» fördert den Kontakt in der Nachbarschaft. Im Zentrum steht jedoch nicht der Austausch von Dienstleistungen, sondern das Teilen von Gütern. Hauptziel des 2012 gestarteten Projekts ist die Förderung eines bewussten und nachhalti­ gen Konsums. Haben Sie sich auch schon über Kle­ ber am Briefkasten Ihrer Nachbarn gewundert, die allerlei Gegenstände feilbieten – Dinge, die nur selten gebraucht werden und in Schubladen, Schränken und im Keller verstauben? Eine Bohr­ maschine, ein Bügelbrett, Schneeschuhe, eine Gi­ tarre: Werkzeuge und Geräte nicht selbst zu kaufen, sondern beim Nachbarn auszuleihen, schont nicht nur das Portemonnaie, sondern auch die Umwelt. Mittlerweile sind über 20 000 Haushalte Teil der «Sharing Community». Eine Online-Karte er­ leichtert die Suche nach dem dringend benötigten Gegenstand: Läuft der Grillabend Gefahr, durch einen Regenguss ins Wasser zu fallen, ist das ret­ tende Festzelt nur ein paar Klicks entfernt – und der neu zugezogene Quartiernachbar vielleicht dankbar für die spontane Einladung ans Grillfest. Eine Bibliothek der Dinge Für diejenigen, die in der Not dennoch ein eigenes Festzelt gekauft haben und danach merken, dass der Keller bereits überfüllt ist, schafft die «Leih­ Bar» in der Alten Feuerwehr Viktoria in Bern Ab­ hilfe: Die «Bibliothek der Dinge» führt auf ihrer Homepage eine Liste mit Gegenständen, die in ihrem Angebot noch fehlen – und die ein Leben als Leihobjekt einem Leben als Staubfänger sicher­ lich vorziehen würden. Die «LeihBar» wurde durch Crowdfunding finanziert und öffnete 2018 als ers­ ter Leihladen der Schweiz ihre Tore. Aktuell können rund 380 hochwertige Ge­ brauchsgegenstände online reserviert und vor Ort ausgeliehen werden. Rund 260 Mitglieder nutzen diesen Service – gegen eine Jahresgebühr von 60 Franken. «Damit bezahlen wir die Miete, Soft­ warelizenzen und Nebenkosten», sagt Caroline Z I V I L G E S E L L S C H A F T L I C H E I N I T I A T I V E N Mehr als nur Nachbarschaftshilfe ©LeihBar Eine Bohrma- schine wird während ihrer Lebenszeit nur etwa elf Minuten benutzt. Une perceuse n’est utilisée que onze minutes environ au cours de sa durée de vie.

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