ENSEMBLE Nr. / N° 48 - Mai / Mai 2020

24 Fokus —– ENSEMBLE 2020/48 se Verwirrung», sagt Eva Ostendarp von «SOS Mé­ diterranée Schweiz». Komme ein Kontakt zur liby­ schen Seefahrtsbehörde zustande, fordere diese die Rettungsschiffe dazu auf, einen libyschen Hafen anzusteuern. «Das internationale Seerecht besagt aber, dass die Geretteten an einen sicheren Ort gebracht werden müssen. Aufgrund der katas­ trophalen Zustände ist es undenkbar und auch ein Verstoss gegen gültiges Recht, soeben gerettete Menschen wieder in die libysche Hölle zu schi­ cken», sagt Eva Ostendarp. Die Notwendigkeit zu handeln wird mittler­ weile breit erkannt. Die Evangelische Kirche in Deutschland etwa gründete im vergangenen De­ zember zusammen mit der Organisation «Sea Watch» das Aktionsbündnis «United4Rescue – Ge­ meinsam Retten». Wenige Monate später sind bereits mehrere hundert Organisationen dem Bündnis beigetreten – ein Grossteil davon mit kirchlichem Hintergrund. «United4Rescue» hat mit Spendengeldern ein Rettungsschiff gekauft, das künftig von «Sea Watch» betrie­ ben wird. Anfang Jahr sicherten auch die Evangelisch-refor­ mierte Kirche Schweiz (EKS) und die Schweizer Bischofskon­ ferenz «United4Rescue» ihre Unterstützung zu. «Die Tatsa­ che, dass Menschen vor unse­ ren Augen den Tod finden, ist nicht akzeptabel», schreibt Gottfried Locher, Präsident der EKS. Den menschlichen Tragö­ dien dürfe nicht tatenlos zuge­ sehen werden: «Vor den Toren Europas ertrinken Menschen auf der Suche nach einer fried­ vollen Zukunft. Täglich. Helfen wir mit, Leben zu retten – in Gottes Namen.» Seenot ist Seenot Diese klare Haltung der zwei grössten Landeskirchen dürfte nicht bei allen gut ankommen. Denn immer wieder wird den zivilen Rettungsorganisationen vorgeworfen, mit Schleppern zu kooperieren und die Migra­ tion zu fördern. Gottfried Lo­ cher ist sich dieses Dilemmas Die Seenotrettung ziviler Organisationen gerät immer wieder in die Kritik – trotzdem wächst die Unterstützung in der Bevölke- rung. Mittlerweile stellen sich auch die Evan- gelisch-reformierte Kirche Schweiz und die Schweizer Bischofskonferenz hinter die Rettungsaktionen. Von Selina Leu* «Drei Tage lang harrten wir hungrig und ohne Wasser auf dem Schlauchboot aus. Dann endlich tauchte ein italienisches Rettungsschiff am Hori­ zont auf», erinnert sich Kingsley. Der 26-jährige Mann aus Nigeria wirkt ruhig, fast gefasst. Dann erhellt sich seine Miene: Als Erstes sei eine Frau mit einem Baby aus dem maroden Boot gehoben worden. «Dann kamen die Kinder und zwei schwangere Frauen. Immer wieder haben wir ihnen gesagt, dass alles gut komme. Nun waren sie in Sicherheit.» Kingsley und die 149 weiteren Passagiere hat­ ten Glück. An jenem Tag im April 2014 kreuzten Schiffe der italienischen Marine auf dem zentralen Mittelmeer. «Mare Nostrum» rettete in einem Jahr rund 150 000 Menschen das Leben. Doch wegen mangelnder Unterstützung durch die Europäische Union beendete Italien im Oktober 2014 die Ret­ tungsaktion.Die darauffolgenden Operationen der EU legten ihren Fokus dann mehr und mehr auf den Grenzschutz; das Ziel, Leben zu retten, wurde zweitrangig. Mit fatalen Folgen: Fast 20 000 Men­ schen starben laut der Internationalen Organisa­ tion für Migration seither im Mittelmeer. Zurück in die Hölle Das Einstellen von «Mare Nostrum» löste die Grün­ dung diverser ziviler Seenotrettungsorganisatio­ nen aus, unter anderem jene von «SOS Méditerra­ née», die bis heute über 31 000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet hat. Doch gerettet heisst nicht, in Sicherheit zu sein: 2018 wurde die weitflächige, vorher de facto von Italien abgedeckte Region vor der libyschen Küste an die libyschen Behörden übertragen; die mehrheitlich mit Geldern der EU aufgebaute libysche Rettungskoordinationsstelle reagiert gemäss «SOS Méditerranée» jedoch nur selten auf ihre Anrufe. «Die Koordination der liby­ schen Seefahrtsbehörde ist absolut mangelhaft und stiftet unter den kursierenden Schiffen gros­ Z I V I L E S E E N O T R E T T U N G Wegschauen ist keine Option * Mitarbeiterin Fachstelle Migration ©Keystone /EPA/Fabian Heinz /Sea-Eye

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