ENSEMBLE Nr. / N° 48 - Mai / Mai 2020

27 ENSEMBLE 2020/48 —– Fokus geschickt. Als er es in der Enge der Kollektivunter­ kunft nicht mehr aushielt, suchte er im Internet nach Kontakten. Und lernte so Elisha Fringer ken­ nen. Der junge Lehrer arbeitet als Freiwilliger bei Queeramnesty und koordiniert die Aktivitäten für Geflüchtete. Queeramnesty sucht aktiv den Kon­ takt zu LGBTI-Asylsuchenden, vernetzt sie mit anderen Betroffenen und begleitet sie bei Be­ hördengängen. Elisha Fringer, was sind die grössten Herausforde- rungen, mit welchen LGBTI-Asylsuchende in der Schweiz konfrontiert werden? Die Betroffenen tragen einen Rucksack voller negativer Erfahrungen aus ihrer Heimat. Diesen Rucksack streifen sie in der Schweiz nicht einfach ab. In ihren Herkunftsländern akzeptiert die Ge­ sellschaft oft nur das klassische Beziehungsmodell zwischen Mann und Frau. Und in der Schweiz ist es auf den ersten Blick eben auch nicht anders. Auch in unserer Gesellschaft ist das Thema Homo­ sexualität quasi inexistent. Das verunsichert viele. Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil LGBTI-Menschen an der Bevölkerung etwa 10 bis 15 Prozent beträgt. Genau. Und weltweit wird etwa jedes zwan­ zigste Asylgesuch aufgrund der sexuellen Orien­ tierung oder Geschlechtsidentität gestellt. Darum Wer aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder seiner Geschlechtsidentität flieht, hat viele Herausforderungen zu meistern. Ein Betroffener und ein Mitarbeiter von Queeramnesty erzählen. Von Selina Leu* Wenn Robin** lächelt, nimmt man es ihm sofort ab. Im Gespräch mit dem mittelgrossen Mann mit den dunklen Haaren und dem modischen Schal fühlt man sich sofort wohl. Meist aber wirkt Robin nachdenklich, manchmal sogar wütend. Dann nämlich, wenn er über die Schweizer Behörden spricht. Seit dreieinhalb Jahren wartet der Kurde auf seinen Asylentscheid; darauf, seine Zukunft wieder selbst in die Hand nehmen zu können. Sei­ ne Heimat verliess der 33-Jährige aus politischen Gründen, aber auch, weil er sich zu Männern hin­ gezogen fühlt. Robin, Sie haben die Türkei verlassen müssen. Wie gingen Sie in Ihrer Heimat mit Ihrer sexuellen Orientierung um? In Kurdistan wusste niemand, dass ich Männer liebe, nicht mal meine engsten Freunde oder mei­ ne Eltern. Meine Familie ist sehr religiös. Hätte sie von meiner Homosexualität erfahren, wäre ich für sie nur noch ein Stück Scheisse. Sie würden mich töten – oder so stark unter Druck setzen, dass ich mich umbringen würde. Sie kommen aus einer Millionenstadt. Gibt es dort einen Weg, die Homosexualität offen zu leben? Nein. Viele Menschen stehen aus Angst vor der gesellschaftlichen Reaktion nicht zu ihrer sexuel­ len Orientierung. Noch immer werden viele Selbst­ morde begangen, von welchen man die Hinter­ gründe nicht weiss, aber erahnen kann. Im Jahr 2016 kamen Sie in die Schweiz. Ist nun alles leichter für Sie? Nein, auch hier habe ich mich nicht geoutet. Ich habe Angst, dass Kurden und Türken aus mei­ nem Umfeld in der Schweiz Kontakte in meine Heimat haben und meine Familie von meiner Homosexualität erfahren könnte. Robin wurde nach seiner Ankunft in der Schweiz in einen kleinen Ort in der Ostschweiz L G B T I - A S Y L S U C H E N D E «Meine Familie würde mich töten» * Mitarbeiterin Fachstelle Migration ** Name geändert Willkommen sein – egal, wie man ist. Etre le bienvenu – peu importe qui vous êtes. ©Random Sky /Unsplash

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