ENSEMBLE Nr. / N° 49 - Juni / Juin 2020

10 Dossier —– ENSEMBLE 2020/49 ZWISCHEN WUNSCH UND AUFTRAG KASUALPRAXIS IN EINER PLURALEN GESELLSCHAFT ENTRE DÉSIRS ET MISSION LES ACTES ECCLÉSIASTIQUES DANS UNE SOCIÉTÉ PLURALISTE Henriette Cann-Guthauser, Pfarrerin in Unterseen, und Tobias Rentsch, Pfarrer in Aarwangen und Mitbegründer der «Unfassbar», über rückläufige Kasualien, individuelle Gestaltungswünsche und säkulare Konkurrenzangebote. Von Matthias Zeindler und Franziska Huber* Noch vor zwanzig Jahren wurden die meisten Men- schen als Kleinkinder getauft und als Jugendliche konfirmiert; später wurden sie kirchlich getraut, nach ihrem Tod kirchlich bestattet. Seither jedoch sind Kasualien immer weniger gefragt. Spüren Sie diesen rückläufigen Trend auch? Henriette Cann-Guthauser: Ja, es hat sich auch in Unterseen sehr verändert. Am stabilsten sind die Zahlen bei den Taufen. Bei den Konfirmationen hin­ gegen schwanken sie von Jahr zu Jahr. Am meisten spürt man den rückläufigen Trend bei den Trau­ ungen. Bei Bestattungen hingegen ist die Kirche noch ammeisten gefragt. Aber auch dort schwankt die Zahl jährlich um bis zu fünfzig Prozent. Tobias Rentsch: Ich war als Pfarrer sowohl in städtischen wie auch ländlichen Gemeinden tätig und machte die Erfahrung, dass es auch auf dem Land immer weniger kirchliche Bestattungen gibt. Und in der Stadt wünschen viele Menschen eine Trauerfeier am Grab, nicht in der Kirche. Auch in ländlichen Gebieten merkt man diesen Trend. Früher waren Kasualien der wichtigste Berüh- rungspunkt mit der Kirche, sozusagen der «Pfeiler der Volkskirche». Ist das heute noch der Fall? Rentsch: Es ist eine Frage der Perspektive. Für ganz viele Menschen hat die Kirche einen hohen Stellenwert, auch wenn sie keine Gottesdienste besuchen. Als Pfarrer der «Unfassbar» merke ich, dass viele Menschen sehr gerne in Kontakt mit der Kirche treten, wenn diese hinaus zu den Menschen geht. Darum sollten wir uns fragen, ob Kasualien der einzige Berührungspunkt sind. Denn rückläu­ fige Kasualien sind messbar; ob sich die Menschen hingegen über andere Wege mit der Kirchgemein­ de verbunden fühlen, etwa durch Gemeindebrie­ fe oder die Zeitung «reformiert.», ist nicht messbar. Darum sollte man die rückläufigen Zahlen relati­ vieren. Cann-Guthauser: Ich denke auch, dass sich Ver­ bundenheit mit der Kirche nicht unbedingt an Gottesdienstbesuchen oder Kasualien zeigen muss. Unsere Angebote der Kinder- und Jugend­ arbeit etwa nutzen Leute, die man sonst nie in der Kirche sieht. Eine gewisse Verbundenheit mit der Kirche sieht man auch bei kulturellen Anlässen. * Matthias Zeindler ist Leiter Bereich Theologie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn; Franziska Huber ist Beauftragte für Theologie Henriette Cann-Guthauser «Mir ist es wichtig, dass die Taufe in einem Gemeinde­ gottesdienst stattfindet.» ©zVg

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