ENSEMBLE Nr. / N° 49 - Juni / Juin 2020

22 Fokus —– ENSEMBLE 2020/49 H E I M S E E L S O R G E Bewegende Momente und ein Lächeln Wie verändert sich die Seelsorge, wenn Menschen auf unbestimmte Zeit von ihrem sozialen Umfeld abgeschnitten und auf sich selbst zurückgeworfen sind? Drei Pfarr- personen und eine Theologiestudentin er- zählen, wie sie unter Corona-Schutzmass- nahmen arbeiten und was sie im Kontakt mit Heimbewohnerinnen und -bewohnern erleben. Von Gerlind Martin Wahrscheinlich ist heute, Anfang Juni, wenn Sie diesen Text lesen, alles anders. Es ist charakteris­ tisch in Zeiten der Coronapandemie, dass in kurzer Zeit vieles geschieht – und fast alles neu ist. Bei Redaktionsschluss im April waren seit über fünf Wochen alle Restaurants, Kinos und Kleiderläden geschlossen; Dörfer, Städte und Sportstadien, Schulhausplätze und Kirchen waren verwaist; Strassen, Busse und Züge praktisch leer. Auch Al­ ters- und andere Heime hatten ihre Türen ge­ schlossen: Um die Bewohnerinnen und Bewohner vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen, war diesen der Ausgang ebenso ver­ boten wie Angehörigen, Freunden und Freiwilli­ gen ein Besuch. Mit Gelassenheit und Reife In dieser aussergewöhnlichen Situation haben viele Seelsorgende in den Heimen ihre Pensen auf­ gestockt: Zum Beispiel Pfarrerin Magdalena Stöck­ li im Schlossgarten Riggisberg, Pfarrer Peter Schwab im Alterszentrum Sumiswald sowie Pfar­ rer Roland Jordi und Theologiestudentin Simone Jeannin im Altersheim dahlia Lenggen Langnau. Auf die Frage, wie die Frauen und Männer in den Heimen mit der schwierigen Situation umgingen, erwähnen alle eine Beobachtung, die Peter Schwab so beschreibt: «Die meisten reagieren mit Gelassen­ heit und Reife auf die Einschränkungen.» Viele hätten in ihrem Leben gelernt, Situationen anzu­ nehmen, «sich dri z schicke». Einzelne erzählen dem Pfarrer von Zeiten mit Kinderlähmung, Maul- und Klauenseuche oder von harten Wintern, in denen sie teilweise über Wochen, ja Monate auf dem Hof isoliert waren. «Das Leben im Heim ist ruhiger ge­ worden», ergänzt Roland Jordi und stellt eine «er­ staunliche Gelassenheit» auch des Personals fest. Strafe oder Chance Gottes? Manche Bewohnerinnen und Bewohner sorgten sich fast mehr um ihre Angehörigen zwischen 50 und 70 als um sich selbst, erzählen die Seelsorgen­ den. In einem kurzen Video sagt eine Bewohnerin zu ihren Kindern: «E liebe Gruess, mir geit’s guet, tüet nume für öich sorge u luege.» Nach der Auf­ nahme, erzählt Roland Jordi, seien ihr die Tränen gekommen. Wenn Simone Jeannin beim Gegenüber Trauer spürt, fragt sie nach dem Grund, bevor sie zum Beispiel das Lesen eines Psalms oder ein Gebet vor­ schlägt. So erfährt die Theologiestudentin von Sehnsucht nach Familie und Freunden, von Angst um Kinder und Enkel. «Einige vertrauen darauf, dass Gott es gut meint mit den Menschen», erzählt sie. «Sie versuchen, in der Pandemie Positives und Chancen für sich und die Menschheit zu sehen.» Andere verspürten Angst oder Verzweiflung und fragten sich, ob das Virus eine Strafe oder eine Chance Gottes sei. In solchen Momenten versuchen die Seelsor­ genden einfach präsent zu sein, so dass traurige, zweifelnde, hoffende Menschen ihre Gefühle zu­ lassen und bei Bedarf darüber reden können. «Da sein und im Kontakt alltägliche Situationen er­ leichtern», beschreibt Peter Schwab seine Aufgabe. Doch auch in ausserordentlichen Situationen steht er zur Verfügung. Schwab denkt an eine Bewoh­ nerin, die schwer verzweifelt war, weil ihre Kinder sie nicht besuchen durften. Mit seelsorgerlichen Gesprächen habe er ihr beistehen und so die Be­ mühungen der Pflegenden unterstützen können. «Zuhören, Raum lassen, zusammen mit dem Gegenüber Antworten finden»: Das ist auch Mag­ dalena Stöckli bei der Einzelbetreuung der psy­ chisch oder geistig beeinträchtigten jungen und alten Menschen im Schlossgarten Riggisberg wichtig – heute genauso wie vor Corona. Sterben, Tod und die damit verbundene Angst sowie Fragen nach dem Lebenssinn seien auch ohne Corona wichtige Themen. Und Roland Jordi fällt in seinen zahlreichen Gesprächen mit den älteren Menschen auf, dass viele auf eine Perspektive über das irdi­ sche Leben hinaus vertrauen. Angesprochen auf Medienberichte, in denen insbesondere ältere Leute ermahnt werden, jetzt Patientenverfügungen anzupassen, sagt Magda­ Die Seelsorgenden dürfen keine Hand drücken und niemanden umarmen.

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