ENSEMBLE Nr. / N° 49 - Juni / Juin 2020

4 Dossier —– ENSEMBLE 2020/49 JEDE ABDANKUNG EIN SONDERFALL? KASUALIEN IM WANDEL SERVICES FUNÈBRES À LA CARTE? LES ACTES ECCLÉSIASTIQUES EN MUTATION Welche Bedeutung haben Kasualien – Taufe, Konfirmation, Hochzeit und Bestattung – für unsere Kirche? Wie verändern sie sich? Und welche Herausforderungen ergeben sich daraus für Kirche und Pfarramt? Ein Überblick. Von David Plüss* Während ich diese Zeilen schreibe, stecken wir inmitten der Coronapandemie. Sterben und Tod sind beängstigend nahe gerückt. Besonders ein­ drücklich sind die Zahlen und Bilder aus Nord­ italien: Militärlastwagen, beladen mit an Corona Verstorbenen, die in einer langen Kolonne in um­ liegende Krematorien gefahren werden, weil die Brennöfen des kommunalen Krematoriums die Menge nicht mehr zu bewältigen vermögen; grosse Kirchenräume mit aufgereihten Särgen; Priester, die den Sterbenden mit Mundschutz oder Schutzkleidung die Sakramente oder zumindest den Segen spenden, sich dabei grosser Gefahr aus­ setzen und zum Teil selbst erkranken. Nicht nur das Sterben hat sich in diesen Tagen bis auf Armeslänge angenähert, sondern auch der pastorale Umgang damit wurde ins Blickfeld der Öffentlichkeit katapultiert. Die Medien zeigen Priester und Seelsorgerinnen, die Sterbende be­ gleiten und Angehörige beraten, berichten über Einschränkungen und Gefährdungen und fragen nach der Bedeutung von Glauben, Seelsorge und Bestattungsritualen – Themen, die in normalen Zeiten keine Pressemeldung und keine Reportage wert sind. Die Coronakrise betrifft die Bestattungspraxis direkt. Ob und wie sie diese verändern wird, ist derzeit schwer absehbar. Doch rückt Corona eta­ blierte religiöse Praktiken des Umgangs mit Ster­ ben und Tod ins öffentliche Bewusstsein – und damit auch die Kasualpraxis unserer Kirchen und Religionsgemeinschaften. Das Tafelsilber der Kirche Die Volkskirche sei eine «Kasual- und Pastoren­ kirche», titelte die deutsche Theologin Isolde Kar­ le 2004 im Deutschen Pfarrerblatt. Laut Karle wird die Kirche vor allem über Pfarramt und Kasualien wahrgenommen. Dies liegt vor allem daran, dass ein Grossteil der Mitglieder der Landeskirchen – etwa 80 bis 90 Prozent – sich kaum am kirchlichen Leben beteiligt. Zudem verstärkte sich in den 1960er-Jahren eine Entwicklung, die bereits im 19. Jahrhundert eingesetzt hatte: Während der sonntägliche Gottesdienstbesuch einbrach, blie­ ben die kirchliche Begleitung und Gestaltung bio­ grafischer und familiärer Übergänge wie Geburt, Erwachsenwerden, Familiengründung und Tod bedeutsam und wurden von den meisten Mitglie­ dern noch immer nachgefragt. Dieser Befund wur­ de durch viele Studien bestätigt. Die Kirche mau­ serte sich immer stärker zu einer «Kasual- und Pastorenkirche». Mittlerweile sind aber auch die Kasualien selbst in Bewegung geraten. Zwar werden Taufen, Hochzeitsfeiern und Bestattungen von vielen Mit­ gliedern weiterhin nachgefragt und gehören noch immer zum Tafelsilber der Volkskirche. Aber sie * Professor für Homiletik, Liturgik und Kirchentheorie an der Universität Bern Der Markt wird auch im Bereich der Kasualien immer wichtiger.

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