ENSEMBLE Nr. / N° 51 - September / Septembre 2020

5 ENSEMBLE 2020/51 —– Dossier Wir sind ein Teil der Schöpfung: ein Spaziergang in der Natur als Gebet. Nous faisons partie de la Création: une promenade dans la nature en guise de prière. Ich glaube, dass Gott ganz viele Sachen möglich machen kann. Das gibt mir Kraft, wenn ich in Ver­ suchung bin, alles hinzuwerfen. In der Bibel gibt es immer wieder Naturkatastro- phen. Die Sintflut ist wohl das Paradebeispiel. Was lehren uns diese Katastrophen? Nach der Sintflut sagte Gott, dass er so etwas nie mehr machen wolle, dass die Erde nie mehr in diesem Masse zerstört werden solle. Wir Men­ schen aber sind drauf und dran, die Sintflut zu wiederholen. Wir erheben uns in die Position von Gott, indem wir bestimmen, wer überlebt und wer nicht. Ich glaube, es ist eine riesige Sünde, über Leben und Tod zu bestimmen. Kann der Mensch denn überhaupt anders handeln? Hat er nicht schon immer Spezies ausgerottet und Ökosysteme zerstört? Der grosse Unterschied ist: Früher versuchten die Menschen einfach zu überleben, ohne Wissen um die Folgen ihres Handelns. Heute jedoch wis­ sen wir, was die Folgen unseres Handelns sind. Und wir hätten Möglichkeiten, anders zu leben. Aber wir ignorieren sie aus egoistischen Gründen. Warum fällt es uns denn beispielsweise so schwer, auf Flugreisen und Fleisch zu verzichten? Ist Ver- zicht nicht auch ein Gewinn? Zur Fastenzeit erkläre ich den Jugendlichen jeweils: Wenn ich auf etwas verzichte, glaube ich, dass Gott das so will. Ich verzichte, weil ich glau­ be, dass Gott die Welt liebt und sie beschützt. Der Verzicht soll mich im Alltag daran erinnern. Er stärkt meinen Glauben und verändert meine Sicht auf die Welt. Das wird Nichtgläubige nicht überzeugen. Man kann als Theologin auch ethisch argu­ mentieren. Die biblischen Gebote sind ja nicht aus der Luft gegriffen, sondern haben viel mit Fragen nach dem guten Leben für alle zu tun. Sind wir bereit zu verzichten, damit andere Menschen die Chance auf Leben erhalten? Gerade ältere Men­ schen machen zudem die Erfahrung, dass nicht Konsum und Luxus glücklich machen, sondern immaterielle Dinge wie etwa Beziehungen. Das ist der Gewinn, der im Verzicht liegt. Gerade wir Menschen im globalen Norden sind be- sonders gefordert, uns in Verzicht zu üben. Wie «Gott schafft Leben. Wir aber zerstören Leben.» © iStock.com /conceptualmotion

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