ENSEMBLE Nr. / N° 53 - November / Novembre 2020

19 ENSEMBLE 2020/53 —– Fokus des Bundes keine Lösungsansätze fest», kritisierte Carsten Schmidt, Leiter der Fachstelle Migration von Refbejuso. Die Langzeitnothilfe sei ein schwieriges Thema, stimmte Claudio Martelli zu. Doch für das SEM ste­ he eine glaubwürdige Asylpolitik im Zentrum: «Wenn Sie glaubwürdig sein wollen, müssen Sie Entscheide auch durchsetzen. Weggewiesene Per­ sonen haben rechtsstaatliche Verfahren durchlau­ fen und einen rechtskräftigen Entscheid erhalten. Aus staatlicher Perspektive bleibt da nicht viel Spielraum.» Selbstverständlich müsse man Migrationspoli­ tik konsequent umsetzen, entgegnete Carsten Schmidt. «Aber wenn in der Langzeitnothilfe die Würde der Menschen während Jahren massiv ver­ letzt wird, reicht es aus kirchlicher Sicht nicht aus, auf den Rechtsstaat zu verweisen.» Die entscheidende Frage Ist das, was rechtens ist, also nicht unbedingt auch gerecht? Entscheidend für diese Frage sei, an wel­ chen Massstäben wir unser Handeln orientieren, betonte Frank Mathwig, Beauftragter für Theo­ logie und Ethik der Evangelischen Kirchen Schweiz (EKS). Während sich die Politik an den Folgen ihres Handelns orientiere, sei die Kirche Prinzipien ver­ pflichtet, die unabhängig von Nutzenabwägun­ gen gelten: «Was tut den Menschen gut, und zwar allen Menschen? Das ist die entscheidende Frage. Die Kirche hat die Aufgabe, die Politik immer wie­ der daran zu erinnern, dass die Menschenrechte nicht verhandelbar sind. Der Mensch zählt, weil er Mensch ist.» Selbstverständlich sei der Appell an die Men­ schenwürde die Aufgabe der Kirche, doch auch in der Politik stehe das Gemeinwohl im Vordergrund, entgegnete die Theologin und Politikerin Béatrice Acklin. Es gebe jedoch keine einfachen Lösungen, jede politische Lösung habe eine Kehrseite. Sie wünsche sich, dass die Kirche diese Debatte diffe­ renzierter führen würde: «Die Kirche kann barm­ herzig sein, der Staat darf das nicht, er muss ge­ recht sein», zitierte sie den Politiker und Theologen Richard Schröder. In der Publikumsrunde stellte Samuel Burger, Pfarrer der Kirchgemeinde Konolfingen, die Dis­ kussion in einen grösseren Kontext: «Unser Asyl­ recht ist darauf ausgerichtet, individuell verfolg­ ten Menschen Schutz zu geben. Aber die Menschen kommen wegen wirtschaftlicher Probleme oder Kriegen zu uns. Aus rechtsstaatlicher Sicht können wir sie darum nicht aufnehmen. Darüber sollten wir einen Diskurs führen. Wollen wir uns abschot­ ten oder nehmen wir eine Zehn-Millionen-Schweiz in Kauf? Sind wir bereit, von unserem Wohlstand etwas abzugeben oder nicht? Ich glaube, das ist der Lackmustest.» ©Olivier Schmid Was tun, wenn demokratisch be­ schlossenes Recht zu unmensch­ licher Härte führt? Podiumsdiskussion am Jahrestreffen von «Joint Future». Que faire lorsque des lois décidées démocratiquement conduisent à des difficultés inhu­ maines? Discus­ sion de groupe lors de la réunion annuelle de «Joint Future».

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc3MzQ=