ENSEMBLE Nr. / N° 54 - Dezember / Décembre 2020
23 ENSEMBLE 2020/54 —– Fokus EINE GEMEINSCHAFT VON UNPERFEKTEN RÜCKBLICK AUF DIE BERNISCHE DIAKONIEKONFERENZ 2020 und Nachbarschaft kann im Laufe eines Lebens verloren gehen. Etwa durch Pendeln, Umzug, Ar mut, Flucht oder Überforderung. Das Problem ist nicht neu. Coenen-Marx ver glich den heutigen Zustand der Gesellschaft mit jenem des 19. Jahrhunderts, als Industrialisierung und Migration die herkömmlichen Bindungsstruk turen zerriss. Damals entstanden die Frauenver eine, die sich um verarmte Familien und kranke Menschen kümmerten, Nähstuben und Gassen küchen eröffneten. Aufbruch von unten Sorgende Gemeinschaft lässt sich nicht verordnen. Sie muss von unten wachsen. Das Problem sei, dass für eine funktionierende Care-Kultur private Ini tiativen allein nicht ausreichten, sagte Coenen- Marx. Auch wenn alle Beispiele, die die Referentin aufzeigte, jeweils von einer privaten Einzelperson ausgingen: Es braucht stabile Strukturen, damit sich ein Sorge-Netzwerk entwickeln kann. Die Auf gaben müssen verteilt werden, jeder soll auf seine Weise beitragen. Nachbarschaftshilfe darf nicht zu einer Überlastung von Einzelpersonen führen. Ideal ist, wenn eine Vernetzung mit professio nellen Aussenstellen stattfindet. Zum Beispiel mit Spitex, Beratungsstellen, Arzt, Seelsorge. Oder der Kirche. Kirchgemeinden haben Liegenschaften und Personal. Sie bieten diakonische Dienste an. Klare Worte und ein pragmatisches Konzept: Das Referat von Cornelia Coenen-Marx, Theologin und Publizistin aus Hannover, löste unter den Anwesenden der 26. Bernischen Diakoniekonferenz zum Thema «Niemand nur für sich allein – sorgende Gemeinschaft und Kirche» angeregte Diskussion aus. Der Saal im Kirchgemeindehaus Frieden in Bern war – unter Berücksichtigung der Corona-Mass- nahmen – bis auf den letzten Platz besetzt. Von Susanne Thomann Synodalrätin Claudia Hubacher nahm es bei ihrer Begrüssung vorweg: Das Thema Care-Kultur ist in Zeiten der Pandemie aktueller denn je. Vor allem während des Lockdowns im Frühling sei klar ge worden, dass eine sorgende Gemeinschaft alle Generationen angehe. Die Referentin Cornelia Coenen-Marx nahm den Faden in ihrem Referat auf. Corona hat aufgezeigt, was unsere auf indivi duellen Erfolg und persönliches Glück ausgelegte Gesellschaft erschüttert: Niemand ist Herr und Meister seines eigenen Lebens. Wir alle sind Teil eines Netzwerks und aufeinander angewiesen. Einsamkeit und Überforderung Die Zahlen, die Coenen-Marx präsentierte, stamm ten zwar aus Deutschland, in der Schweiz dürfte es aber ähnlich aussehen. 46 Prozent der 70- bis 85-Jährigen leben allein, 30 Prozent der Menschen zwischen 18 und 65 Jahren sind Singles. Fast die Hälfte der Deutschen fühlt sich – zumindest hin und wieder – einsam. Einsamkeit, Angst und Überforderung sind da bei kein typisches Altersproblem. Betroffen sind auch Jugendliche, Alleinerziehende und junge Familien. Die alltägliche Einbettung in Familie Die passende musika lische Untermalung: Wie die Care-Kultur braucht auch die Musik von Mich Gerber Zeit, um sich zu entfalten. Le bon fond musical: comme la culture Care, la musique de Mich Gerber a besoin de temps pour se développer. Gemeinschaft funktio- niert da, wo Menschen ihre Hilfsbedürftigkeit benennen dürfen. ©Tom Kaffka
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