ENSEMBLE Nr. / N° 55 - Januar / Janvier 2021

10 Dossier —– ENSEMBLE 2021/55 « GELD ALLEIN MACHT NICHT GLÜCKLICH» WEGE AUS DER SOZIALEN UNGLEICHHEIT « L’ARGENT NE FAIT PAS LE BONHEUR» COMMENT SORTIR DE L’INÉGALITÉ SOCIALE? Der emeritierte Professor und Soziologe Ueli Mäder über den Sinn und Wert von Arbeit, Lohn und Leistung, forcierte Konkurrenz und gesellschaftliche Solidarität. Von Olivier Schmid Ueli Mäder, macht Geld glücklich? Nein, Geld allein macht nicht glücklich. Stu­ dien zeigen zwar, dass Geld einen positiven Ein­ fluss auf das psychische Befinden und die Gesund­ heit hat, aber nur bis zu einem bestimmten Grad. Glück, verstanden als eine tiefe, innere Zufrieden­ heit, hat wenig mit Geld zu tun. Wann wird Geld zum Fluch? Jeremias Gotthelf hat dies in «Geld und Geist», wo die Habgier des Bauern die Harmonie der Familie zerstört, schön aufgezeigt. Geld kann Be­ ziehungen belasten, Machtgefälle verstärken und sehr verletzend wirken. Geld ist das zentrale Tauschmittel, der Preis für ein Produkt oder eine Dienstleistung die primäre Referenz von Wert. Wie wirkt sich Geld auf soziale Beziehungen und die Gesellschaft aus? Geld kann Beziehungen erleichtern oder stra­ pazieren und sogar korrumpieren. In den letzten dreissig Jahren hat ein Paradigmenwechsel statt­ gefunden. Die Solidarität ist ins Hintertreffen ge­ raten, auch international. So hat sich die Welt zwar in wirtschaftlicher, aber viel weniger in poli­ tischer und sozialer Hinsicht globalisiert. Dies hat zu einer starken Konzentration des Geldes bei ei­ nigen wenigen Vermögenden geführt und die Macht weiter zugunsten von Konzernen verscho­ ben. Dieses Ungleichgewicht bringt gesellschaft­ lich einseitige Abhängigkeiten mit sich und unter­ läuft demokratische Prozesse. Bereits 1976 kritisierte der Soziologe Erich Fromm in «Haben oder Sein» das Streben nach Besitz, die Orientierung am Geld statt am Geist. Und auch heute finden im Konsum viele Menschen Sinn und Identität. Ist Konsum in unserer säkular geprägten Gesellschaft zu einer Ersatzreligion geworden? Ich denke schon, dass hinter dem Konsum eine neue Gläubigkeit steckt. Ich konsumiere, also bin ich. Was zählt, ist das Geld. Die Orientierung an kurzfristigen Renditen und Wachstum durch­ dringt immer mehr Lebensbereiche. Alles muss kurzfristig nützlich sein. Und genug ist nie genug. Dabei kommt uns vor lauter Haben das Sein ab­ handen. Umgekehrt ist Geld und Besitz ja nicht per se schlecht. Geld gibt auch materielle Sicherheit und Freiheit in der Lebensgestaltung – und Macht. Was zeichnet einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld aus? Verantwortlich handelt, wer Geld nicht auf Kosten von andern erwirbt oder vermehrt. Es gibt viele Vermögende, die individuell etwas zum sozialen Ausgleich beitragen. Auch sie sehen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt leidet und der Arbeitsfrieden aufbricht, wenn die Kluft zwischen Arm und Reich noch grösser wird – und dass dies nicht zuletzt auch ihr Geschäft bedroht. Doch man sollte den sozialen Ausgleich nicht dem Goodwill einzelner Reicher überlassen. Spenden haben manchmal einen gewissen Alibi- und Almosencharakter. Was wir brauchen, sind ein fairer Austausch und gerechtere globale Handels­ beziehungen. Arme Länder erhalten für ihre Rohstoffe und Primärgüter tendenziell immer weniger Geld. Das beeinträchtigt ihre Lebenslagen und treibt Menschen zur Flucht. Ein guter Lohn oder Reichtum werden häufig mit Leistung gleichgesetzt. Gleichzeitig aber leisten

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