ENSEMBLE Nr. / N° 56 - März / Mars 2021

10 Doss i er —– ENSEMBLE 2021 /56 EINE STIMME FÜR DIE VERGESSENEN KIRCHLICHES ENGAGEMENT FÜR MENSCHEN IN DER NOTHILFE UNE VOIX POUR LES OUBLIÉS L’ÉGLISE S’ENGAGE POUR LES REQUÉRANTS DÉBOUTÉS Zahlreiche Kirchgemeinden setzen sich für abgewiesene Asylsuchende ein. So auch die Kirchgemeinden Aarwangen und Riggis- berg. Trotz engen Rahmenbedingungen ist die Wirkung für die Betroffenen gross. Von Selina Leu Ihre Worte sind so einfach wie einleuchtend: «Hier geht es nicht um Wohltätigkeit. Hier geht es um Begegnungen – und daraus werden Beziehungen», sagt Monika Wälti, während sie eine Familie zur Tür begleitet. Die winterliche Dunkelheit löst die behagliche Wärme des Kirchgemeindehauses Aarwangen ab. Es ist jene Wärme, die Monika Wälti und weitere Freiwillige den Menschen aus dem nahegelegenen kantonalen Rückkehrzent­ rum weiterzugeben versuchen: wöchentlich für zwei Stunden in einem Kaffee-Treff, um ihnen «ein Stück Normalität und Leichtigkeit» zu geben, wie Pfarrer Marcel Schneiter es nennt. Für die abgewiesenen Asylsuchenden, die un­ weit des Kirchgemeindehauses in einem ehe­ maligen Knabenheim wohnen, sind diese zwei Stunden wie ein «Auftauchen». Rund dreissig Per­ sonen besuchten vor der coronabedingten Schlies­ sung wöchentlich das Kirchgemeindehaus und versuchten, der Enge ihrer Unterkunft zu entkom­ men. Eine Mutter erzählt, dass sie mit ihren drei Kindern, zwei davon im Jugendalter, in einem klei­ nen Zimmer lebt: «Zwei Stockbette, ein Tisch – sonst nichts.» Ihr Ehemann ist in Sri Lanka ver­ schollen, ihr Bruder wurde umgebracht. Sie flüchtete aus Angst in die Schweiz – doch ihr Asyl­ gesuch wurde abgelehnt. Sie verzweifelt beim Ge­ danken, was aus ihren Kindern werden soll. «Mei­ ne Älteste schliesst nächstes Jahr die neunte Klasse ab. Und dann? Sie darf keine Ausbildung machen», schildert die kleine Frau mit erstickter Stimme ihre ausweglose Situation. In der Sackgasse Die Geschichte dieser Familie steht stellvertretend für Hunderte ähnliche Schicksale. Von den schweizweit rund 6000 Menschen, deren Asyl­ gesuch abgewiesen wurde und die Nothilfe be­ ziehen, sind knapp 600 Kinder; allein im Rück­ kehrzentrum Aarwangen leben drei Dutzend von ihnen. Wer sich mit der Thematik befasst, muss unweigerlich an eine Sackgasse denken: Viele dieser Menschen können oder wollen weder in ihre Heimat zurückkehren, noch besitzen sie in der Schweiz einen legalen Aufenthaltsstatus. Wie zermürbend diese Sackgasse ist, zeigt das Beispiel von Sathiya und Paul. Sie leben bereits seit zehn Jahren mit ihren drei Kindern in der Schweiz, die zwei Jüngeren sind in Bern geboren und sprechen Berndeutsch. Während sie ihren Kindern beim Herumtoben zuschaut, sagt Mutter Sathiya: «Das Schlimmste sind die Fragen meines Sohnes. Er fragt uns immerzu, warum seine Situ­ ation so sei, wie sie ist. Er will wissen, warum er nach Sri Lanka soll, wenn sein Land doch die Schweiz ist.» Der 10-Jährige schaut kurz vom Spiel auf. «Pause», meint er ohne zu zögern auf die Frage, was er an der Schule am liebsten mag. Eine Freiwillige bringt ihm regelmässig Bücher zum Im Kaffee-Treff finden abgewiesene Asylsuchende ein Stück Normalität und Leichtigkeit.

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