ENSEMBLE Nr. / N° 57 - April / Avril 2021

14 Doss i er —– ENSEMBLE 2021 /57 forderung? Auch unsere Ehemänner wurden be­ fragt: Ob sie es gut fänden, dass wir arbeiten, ob sie uns dies zutrauen würden? Erst später habe ich realisiert, wie grenzwertig und verletzend das war. Schlussendlich wurden Sie beide im ersten Wahl- gang gewählt. Wie gestalteten sich die ersten Amtsjahre? Mehr als einmal wurden wir wegen unseres Aussehens kritisiert, etwa wegen einer roten Blu­ se. Zudem hatte ich kurze Haare und grosse Ohr­ ringe. Verschiedene Leute sprachen ihren Unmut darüber aus. Aber das war eine Minderheit, die Mehrheit liess sich auf uns ein, auf unsere Ideen und die feministische Sprache im Gottesdienst. Und die feministisch-theologischen Lektüregrup­ pen waren sehr beliebt, sie entsprachen einem Bedürfnis der Frauen. Wie war es bei Kasualien? Meistens war es unproblematisch. Es gab nur ein paar wenige Reaktionen. Einige schluckten zwar leer, sagten aber nichts. Doch einmal wurde ich zu einer Beerdigung mit den Worten empfan­ gen: Können Sie das denn als Frau? Das war nicht böse gemeint, man hatte einfach nicht mit einer jungen Pfarrerin gerechnet. Und zu Beginn wünschten sich Trauerfamilien manchmal einen Mann. Als sie uns kannten, war es dann zum Teil umgekehrt. Doch unser Pfarrteam liess sich darauf nicht ein. Sophie Kauz, was sind Ihre Erfahrungen? Bei Vorstellungsgesprächen zur Zeit meines Vikariats vor zehn Jahren war die Überraschung immer gross: Sie sind dann eine junge Frau! Wol­ len Sie wirklich zu 100 Prozent arbeiten? Wie sieht es mit Heiraten und Familienplanung aus? Ich ging dann als Doktorandin an die Uni und sagte mir, dann werde ich wenigstens älter. Fünf Jahre später bewarb ich mich bei der Kirchgemeinde Zollikofen, dort ging es einzig um die Pfarrstelle und die Aufgaben. Zu Beginn meiner Amtszeit wurde auch ich wegen meines Äusseren kritisiert, etwa wegen meiner langen Haare, die ich offen trage, oder wegen meiner Absatzschuhe, die in der Kirche klacken. Auch dass es in der Gemeinde seit November 2019 drei Pfarrerinnen gibt, gab Diskussionen. Zu wem man denn gehen könne, wenn kein Pfarrer da sei? Auf die Rückfrage, was denn nur mit einem Pfarrer besprochen werden könne, antworteten sie: Eigentlich nichts, wir sind es uns einfach nicht gewohnt. Mit welchen Plänen traten Sie Ihre Pfarrstellen an? Und was konnten Sie umsetzen? Anita Masshardt: Mich interessierte die Kirch­ gemeinde Paulus, weil ich dachte, dass meine feministisch-theologischen Ideen in einer städti­ schen Gemeinde auf weniger Widerstand stossen würden als auf dem Land. Sie hatte bereits damals eine stark politisch-theologische Ausrichtung, also ging ich davon aus, dass sie auch offen gegenüber Frauenanliegen sei. So war es dann auch. Ich spürte viel Unterstützung und Wohl­ wollen. Einzig gegen meine feministische Sprache gab es Widerstand. Doch irgendwann gewöhnten sich die Leute daran. Ich sprach Gott nur als Mut­ ter oder in weiblicher Form an, nannte den Hei­ ligen Geist Ruach, Geist-Kraft. Mit der Zeit muss­ te ich mich dann nicht mehr so sehr beweisen und vermischte weibliche und männliche For­ men. Inhalte und Haltungen sind ebenso wichtig wie die Sprache. Sophie Kauz: Für mich war es natürlich ein­ facher. Meine Pfarrkollegin benutzte die feminis­ tische Sprache schon lange. Natürlich fanden ei­ nige Leute: Schon wieder eine Pfarrerin, die so spricht! Dennoch war es für mich einfacher. Ich habe noch nie erlebt, dass mir etwas nicht mög­ lich war, nur weil ich eine Frau bin. Jedenfalls hat man es mir nie so gesagt. Doch wenn ich von Frauen aus der Bibel erzähle oder am Internatio­ nalen Frauentag nur die Frauen anspreche und sage, dass jahrhundertelang nur die Männer an­ gesprochen wurden, verdrehen die Männer die «Einmal wurde ich mit den Worten empfangen: Können Sie das denn als Frau?» Anita Masshardt «Ich habe noch nie erlebt, dass mir etwas nicht möglich war, weil ich eine Frau bin.» Sophie Kauz FAMA Zum Anlass des 50-Jahr-Jubiläums des Frauenstimmrechts in der Schweiz geht die feministisch-theologische Zeitschrift FAMA in ihrer ersten Ausgabe 2021 folgenden Fragen nach: Was genau bedeutet eigentlich «wählen gehen»? Was bedeutet «Emanzipa­ tion» für Menschen aus verschiedenen kulturellen Kontexten? Welche Rolle spielten religiöse Bewegungen im Kampf für das Frauenstimmrecht? Wie sah die feministische Theologie vor 50 Jahren aus? www.fama.ch

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc3MzQ=