ENSEMBLE Nr. / N° 57 - April / Avril 2021

15 ENSEMBLE 2021 /57 —– Doss i er Wie fliesst die feministische Theologie in Ihre Arbeit ein? Anita Masshardt: Mir ging es darum, die Reali­ tät der Frauen von damals und von heute zur Sprache zu bringen. So erzählte ich nicht etwa das Gleichnis vom verlorenen Sohn, sondern das Gleichnis vom verlorenen Groschen, in welchem die Frau das Haus auf den Kopf stellt und putzt und sucht. Oder anstatt irgendein Gottesgleichnis wählte ich das Gleichnis vom Teig, den eine Frau knetet und der dann aufgeht. Auch von biblischen Frauenfiguren erzählte ich gerne. Vielen Leuten ist noch heute nicht bewusst, wie viele Geschichten Augen und schreiben mir, dass sie meinen Stand­ punkt schon lange verstanden hätten und ich damit aufhören könne. Doch solange sie mir des­ wegen ein Mail schreiben, scheint dies nicht der Fall zu sein. Wo erleben Sie Chancen als Frau in einem kirch- lichen Amt? Anita Masshardt: Ich habe mein Frausein ins­ besondere in der Seelsorge als Chance erlebt. Die Seelsorge hat etwas Feminines und Mütterliches. Zu trösten, aufzurichten, zu ermächtigen: Das machen Mütter mit ihren Kindern. Ich konnte von meinem Frausein profitieren, vor allem bei schwierigen Situationen rund um Schwanger­ schaften oder Geburten. Häufig hörte ich: Zum Glück sind Sie eine Frau, mit Ihnen kann ich an­ ders darüber sprechen, wie es mir geht und was ich brauche, Sie können sich besser einfühlen. Vielleicht kann das ein Mann auch, aber so er­ lebte ich es. Sophie Kauz: Für mich liegen die Chancen als Pfarrerin auch in der Seelsorge. Gerade im Alters­ heim ist Seelsorge vor allem Seelsorge für Frauen, es hat viel mehr Frauen als Männer. In den Heim­ gottesdiensten sind sie oft unter sich. Ich erzähle ihnen Frauengeschichten aus dem Alten Testa­ ment und mache ihre Perspektive sichtbar. Oft sagen sie mir danach: Jetzt komme ich endlich auch einmal vor. Das ist für mich das schönste Kompliment. Eine Chance ist für mich zudemmein Amt als Vizepräsidentin der Synode, wo ich Schwerpunkte setzen und die Perspektive der Frauen einbringen kann. «frauen forum» Die evangelische Zeitschrift «frauen forum» würdigt in ihrer ersten Ausgabe 2021 Frauen aus verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Positionen, die sich für die Gleichberechti­ gung eingesetzt haben, und fragt, wie sie gelebt und gekämpft haben: zum Beispiel die Frauenrechtlerin und Friedensaktivistin Clara Ragaz-Nadig, die Theologin und Pfarrfrau Kunigund Feldges-Oeri, die Theologin Hanna Sahlfeld-Singer, die 1971 als eine der ersten Frauen in den Nationalrat gewählt wurde, sowie Dora Scheuner, Hanni Schilt und Silvia Pfeiffer. www.zeitschrift-frauenforum.ch «Die männliche Perspektive gilt noch immer als die normale Perspektive.» Anita Masshardt «Die Mehrheit liess sich auf unsere feministische Sprache ein»: Anita Masshardt an einer Christnachtfeier. «La majorité a accepté notre langage féministe»: Anita Masshardt lors d’une célé- bration de la Veille de Noël. © zVg

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