ENSEMBLE Nr. / N° 61 - September / Septembre 2021

14 Doss i er —– ENSEMBLE 2021 /6 1 P O R T R Ä T Liebe braucht besonderen Schutz Roland Diethelm ist Pfarrer in Wangen an der Aare. Er und sein Partner sind seit 26 Jahren ein Paar. Bereits heute sind sie verheiratet – nur das Kirchenfest fehlte bisher. Von Selina Leu «Wenn ein Weg einfach ist, will ich ihn nicht ge­ hen. So bin ich nun mal», sagt Pfarrer Roland Diethelm, während er entspannt auf dem Sofa sitzt, einen Ellenbogen aufgestützt, mit einem gewinnenden Lachen. Deshalb entschied sich der 51-Jährige vor knapp dreissig Jahren, Gemeinde­ pfarrer zu werden, obwohl ihm einige Leute we­ gen seiner Homosexualität rieten, sich einen an­ deren Beruf zu suchen. Der vermeintlich steinige Weg war dann aber angenehmer als erwartet: «Mein Lebensmodell ist heute kein Thema mehr, das das Zusammenleben in der Gemeinde ein­ schränkt», fasst Roland Diethelm zusammen. Ver­ steckt hat er seine sexuelle Orientierung aller­ dings nie. Aufgewachsen in einer Kleinfamilie im Zürcher Weinland, haben ihn verschiedene Per­ sonen darin bestärkt, zu seiner sexuellen Orien­ tierung zu stehen; so auch die Rektorin des Gym­ nasiums in Winterthur, das er als Teenager besuchte. «Dass diese Frau lesbisch ist, war ein offenes Geheimnis und beflügelte unsere Fanta­ sie. Sie war eine exzellente Geschichtslehrerin – und so verband ich das Nachdenken über sexuel­ le Orientierung immer auch mit einer reflek- tierten, starken Bildung.» Doch seine Homo­ sexualität macht Roland Diethelm nicht zum Politikum: «Ich muss zur Thematik nicht hausie­ ren – ich bin mit meiner Art zu leben Antwort genug», sagt der Pfarrer. Weder bieder noch eng Diethelms Lebensmodell offenbart sich bereits im Eingangsbereich des Pfarrhauses: ein bunter Wirr­ warr von Kinderschuhen, zwei Blondschöpfe flit­ zen vorbei. Roland Diethelm und sein Partner haben gemeinsam vier Kinder – «eine Familie, von der Grösse her genau passend für dieses ge­ räumige Pfarrhaus». Als Diethelm sein Teilzeit­ pfarramt in der reformierten Kirchgemeinde Wangen an der Aare antrat, stellte er sich im Kirchgemeindeblatt «Chilefänschter» mit einem Familienfoto vor. Einzig die Tatsache, dass über den Kinderköpfen zwei Papas in die Kamera strah­ len, unterscheidet es von einem klassischen Fa­ milienfoto. In seiner Kirchgemeinde spürt der Pfarrer viel Rückhalt; eine Menge Leute hätten sich über sei­ ne Wahl gefreut. «Ich glaube, viele Menschen lei­ den darunter, dass die Kirche bisweilen bieder und eng ist», sagt der Pfarrer. Bei vereinzelten Evange­ likalen – dem «Stosstrupp der Bibeltreuen», wie Diethelm sie ironisch nennt – hat er allerdings negative Erfahrungen gemacht: Einige Mitglieder des Evangelischen Gemeinschaftswerks, mit wel­ chem die lokale reformierte Kirchgemeinde seit Jahren eine Kinderwoche organisiert, forderten, dass Roland Diethelm – in der eigenen Kirchge­ meinde für Kinder, Familien und Jugendliche zu­ ständig – die Leitung abgibt. Heute führen die beiden Gemeinden ihre Familienprogramme se­ parat durch. Trotz dieser Erfahrung schaut Roland Diethelm der Abstimmung zur zivilrechtlichen «Ehe für alle» gelassen entgegen. Er schätzt die Anerkennung von homosexuellen Paaren in der Gesellschaft als gross ein. «Wir haben mittlerweile fast alle eine Tante oder einen Bruder, die offen homosexuell leben. Würden wir die Ausweitung des Ehebegriffs an der Urne ablehnen, würden wir auch gegen unsere Freunde stimmen.» Was dem Theologen allerdings Sorge bereitet, ist eine kleine Minder­ heit, die, angestachelt durch den Diskurs in den USA, lauthals und medienwirksam ihr Unverständ­ nis gegenüber Homosexualität kundtut. Diethelm ist daher froh, wenn die Kirche auf verschiedenen Ebenen klar Stellung zur Thematik bezieht: «Die Frage, wie wir zusammenleben wollen, gehört zu den Kernthemen der Kirche; da kann sie sich nicht enthalten.» Bis heute nimmt der Theologe aller­ dings wenig kirchliche Bemühungen wahr, zur Thematik einen Diskurs anzustossen. Er erachtet dies als verpasste Chance, sich zu gesellschaftli­ chen Fragen zu positionieren. Hingegen begrüsst er es, dass im Herbst im Kirchengebiet von Refbe­ juso eine Gesprächssynode stattfindet: «Es ist wichtig, dass die Synodalen sich eine Meinung bilden und die Synode Stellung bezieht.» Einige Leute rieten dem Pfarrer wegen seiner Homosexualität, einen anderen Beruf zu suchen.

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