ENSEMBLE Nr. / N° 61 - September / Septembre 2021

15 ENSEMBLE 2021 /6 1 —– Doss i er Betrachtungsweise ist entscheidend Theologisch ist für den Pfarrer die Argumenta­ tionsweise klar. Es gebe in der Bibel zwar einige Passagen, die sich kritisch mit dem Thema Homo­ sexualität befassen würden. «Wenn wir nun aber den Schluss ziehen, dass wir alles ’bibeltreu’ um­ setzen müssen, müssten wir auch Schabbat-Über­ treter umbringen oder die verwitwete Schwägerin heiraten und mit ihr weitere Kinder zeugen.» Beim Thema Homosexualität werde von einigen Grup­ pen ganz bewusst nur ein Thema aus der Bibel herausgepickt und absichtlich als nicht gottge­ wollt dargestellt. Viele biblische Aussagen seien weit weg von der heutigen gesellschaftlichen Realität. «Anstatt alles streng biblizistisch zu be­ trachten, sollten wir uns fragen, was den Men­ schen guttut, was sie glücklich macht», so der Pfarrer. Und so würde man plötzlich nicht mehr über die Form der Beziehung, sondern über deren Qualität reden. «Wenn zwei Menschen ihr Leben zusammen verbringen und gegenseitige Verant­ wortung übernehmen wollen, bedarf diese weit­ reichende Entscheidung eines besonderen kirch­ lichen und gesellschaftlichen Schutzes, egal ob es sich bei den Trauwilligen um ein Männer-, Frauen- oder heterosexuelles Paar handelt.» Er wünscht sich daher von der Kirche, dass sie die gleich­ geschlechtliche Beziehungsform nicht nur nicht mehr diskriminiert, sondern aktiv heterosexuellen Paaren gleichstellt. Ein langer Weg zum «Jawort» Roland Diethelm und sein Partner hoffen darauf, dass das Schweizer Stimmvolk Ende September die «Ehe für alle» an der Urne gutheisst. Seit 26 Jahren sind sie ein Liebespaar, vier Jahre verbrach­ ten sie in Mexiko. Dort entschieden sie sich, sich nach mexikanischem Zivilrecht zu trauen. Er habe allerdings einen langen Weg zurückgelegt, bis er für diesen Schritt bereit gewesen sei, sagt Roland Diethelm: «Früher waren ich und meine Freunde uns einig: Die Ehe ist etwas für Heterosexuelle. Wir wollten alles, nur nicht dieses Modell kopie­ ren.» Heute, nach unzähligen Jahren an der Seite seines Partners, ist für Roland Diethelm klar, dass es nicht um die Übernahme einer bürgerlichen Lebensform, sondern um Verbundenheit und Lie­ be geht. Gerne möchte das Paar seine Beziehung daher auch in der neuen, alten Heimat amtlich machen. Die Eheschliessung in Mexiko wird in der Schweiz bisher allerdings nicht anerkannt. Ob­ wohl das Paar in der Schweiz seine Partnerschaft seit zwanzig Jahren hätte eintragen lassen können, entschied es sich immer dagegen, ebenso gegen die kirchliche Segnung. Nun hoffen sie darauf, dass sie bald ein lebens- und farbenfrohes Kirchen­ fest begehen dürfen: «Wenn wir schon heiraten, dann richtig!» Roland Diethelm: «Anstatt alles streng biblizistisch zu be- trachten, sollten wir uns fragen, was die Menschen glücklich macht.» Roland Diethelm: «Au lieu de considé- rer tout de manière strictement biblique, nous devrions nous demander ce qui rend les gens heureux.» Der Pfarrer und sein Partner hoffen, bald ein lebensfrohes Kirchenfest begehen zu dürfen. © Selina Leu

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