ENSEMBLE Nr. / N° 61 - September / Septembre 2021

18 Doss i er —– ENSEMBLE 2021 /6 1 L G B T I Q * - C O M M U N I T Y Die Kirche ist für alle Menschen da Die Aufgabe der Kirche ist es, alle Menschen bedingungslos anzunehmen – unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung: Ein Gastbeitrag der Pfarrerin und Seelsorgerin Priscilla Schwendimann.. Von Priscilla Schwendimann* Ich werde oft gefragt: «Priscilla, was soll das eigentlich? Müsst ihr Homos euch immer ins Zen­ trum stellen? Und überhaupt: Ist das Thema nicht längst schon gegessen? Immerhin hat die evan­ gelisch-reformierte Kirche teilweise bereits 1998 die ersten gleichgeschlechtlichen Paare gesegnet. Und 2019 hat sich der Schweizerische Evangeli­ sche Kirchenbund (EKS) deutlich für die Ehe für alle ausgesprochen, noch vor dem Ständerat. Und am 26. September 2021 stimmen wir über die Ehe für alle ab, dann sollte dieses Thema hoffentlich durch sein. Warum also müssen wir noch immer ein solch besonderes Augenmerk auf das Thema LGBTIQ* legen? Und überhaupt: Für was stehen all diese Buchstaben überhaupt? Es erinnert doch mehr an eine Buchstabensuppe, als dass jemand wirklich versteht, worum es geht. Haben wir in der Schweiz denn keine anderen Probleme? Und diese neue Pfarrstelle für LGBTIQ*-Menschen in Zürich: Das ist doch auch wieder Ausgrenzung – die mensch sich sogar selbst aussucht.» Ein Leib mit vielen Gliedern Liebe Lesende, vielleicht denken Sie auch so. Viel­ leicht aber auch nicht, und Sie sind erstaunt, dass es mir wichtig ist, auf diese Gedanken einzugehen. Die Wahrheit ist: Ich bin sehr stolz auf die evan­ gelisch-reformierte Kirche – auf unsere Kirche, auf meine Kirche. Auf diese Kirche, die eine zentrale Rolle in meinem Leben spielt. Nicht, weil ich im­ mer mit allen Menschen dieser Kirche einer Mei­ nung bin – bei Weitem nicht. Aber weil wir in einer grossen Diversität, unter dem Dach dieser Kirche, miteinander verbunden sind. Es ist mir eine Ehre, in dieser Kirche Pfarrerin zu sein, und ich tue dies mit Stolz und dem Be­ wusstsein, dass ich nur ein sehr kleines Rädchen in diesem grossen Konstrukt bin. Und doch gilt, wie Paulus schreibt: «Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.» (1. Kor 12) Und wenn mir etwas in den letzten Jahren bewusst geworden ist: Diese Glieder sind nicht homogen, sondern wirklich sehr heterogen, und sie haben so viele Bedürfnis­ se und Nöte, wie es eben auch Glieder gibt. Neben unserer Kirche liebe ich auch die Bibel und Jesus. Jesus war einfach ein crazy Typ. Er hat immer alle verrückt gemacht – nie hat er sich an die Regeln gehalten, und die Gesetzeshüter waren Zusammen hin- stehen und sagen: Ja, wir glauben, dass Gott alle Men- schen liebt. Être solidaires et dire: oui, nous croyons que Dieu aime tout le monde. © Keystone / dpa / Stefan Sauer * Priscilla Schwendimann ist Pfarrerin im Pfarramt für Menschen aus der LGBTIQ*-Community in Zürich

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