ENSEMBLE Nr. / N° 61 - September / Septembre 2021

4 Doss i er —– ENSEMBLE 2021 /6 1 KIRCHLICHE TRAUUNG FÜR ALLE ? EIN HEISSES EISEN BÉNÉDICTION DE MARIAGE POUR TOUTES ET TOUS? SUJET BRÛLANT Voraussetzung für eine kirchliche Trauung ist die erfolgte zivile Trauung. Wenn nach staatlichem Recht die Ehe für gleichge- schlechtliche Paare geöffnet wird, muss deshalb die Frage der kirchlichen Trauung neu geklärt werden. Von Bernd Berger* In den 1980er-Jahren besuchte ich zu Beginn mei­ nes Theologiestudiums einen Hebräisch-Intensiv­ kurs. Nach mehreren Wochen täglichen gemein­ samen Lernens fragte mich ein Mitstudent, ob ich in einer Beziehung lebe. Leicht irritiert über die Form der Frage, bejahte ich. Warum hatte er nicht einfach nach meiner Freundin gefragt? Nach kur­ zem Zögern erzählte der Mitstudent, dass er auch in einer Beziehung lebe und amWochenende sein Partner zu Besuch käme. Für mich war es die erste bewusste Begegnung mit einem Schwulen. Warum blieb mir die Szene in Erinnerung, obwohl ich seinen Namen längst vergessen habe? Vermutlich, weil sich damals in meinem ländlichen Umfeld kaum jemand als schwul geoutet hätte. «Schwul» galt als Schimpf­ wort und Homosexualität vielen als Perversion. Und vermutlich blieb mir die Erklärung in Erin­ nerung, weil sie ein grosser Vertrauensbeweis war. Zudem unterschied sich die Art und Weise, wie der Mitstudent von seinem Partner erzählte, in nichts von derjenigen, in der ich von meiner Freundin erzählte. Zum ersten Mal wurde mir be­ wusst, dass ich nicht glauben kann, dass Gott Menschen verurteilt, nur weil sie anders lieben als ich. Im Studium und im Pfarrberuf habe ich dann immer wieder Menschen kennengelernt, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben. Mir wurde klar, dass sie in ihren Partnerschaften vor den gleichen Fragen und Herausforderungen ste­ hen wie ich, Freude und Enttäuschungen erleben, Glück und Verletzlichkeit. Aber im Unterschied zu mir erleben sie immer wieder, dass sie wegen ihres Liebens und Begehrens diskriminiert werden – heute zwar weniger, aber immer noch. Die Bedeutung der kirchlichen Trauung «Die kirchliche Trauung ist ein Gottesdienst, der den Eheleuten Gottes Liebe, Treue, Segen und be­ freiendes Gebot verkündigt. Die Eheleute geloben, einander im Vertrauen auf Gottes Verheissung die Treue zu halten und ihre Ehe in der Verantwor­ tung vor Gott zu leben.» So formuliert Art. 44 der Kirchenordnung der Reformierten Kirchen Bern- Jura-Solothurn die Bedeutung der kirchlichen Trauung. Voraussetzung für eine kirchliche Trau­ ung ist die erfolgte Ziviltrauung. In den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solo­ thurn gibt es schon seit den 1990er-Jahren Segens­ feiern, die aber von einer kirchlichen Trauung unterschieden werden. Wenn nach staatlichem Recht die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ge­ öffnet wird, muss die Frage der kirchlichen Trau­ ung neu geklärt werden. Dabei darf der Frage nicht ausgewichen werden, ob eine Ungleichbe­ handlung von homosexuellen und heterosexuel­ len Paaren nicht einer Diskriminierung gleich­ käme. Es bräuchte auf jeden Fall sehr starke theologische Gründe, um eine solche Ungleich­ behandlung zu legitimieren. Falsches Signal oder überfällige Öffnung? Um die «Ehe für alle» sind bei den Reformierten intensive Auseinandersetzungen entstanden. Für die einen ist sie nicht mit ihrem Verständnis der * Bernd Berger ist Leiter Weiterbildung pwb der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn

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