ENSEMBLE Nr. / N° 61 - September / Septembre 2021

5 ENSEMBLE 2021 /6 1 —– Doss i er biblischen Botschaft und ihrer Glaubensüberzeu­ gung vereinbar. Sie sehen die Gleichstellung bei der kirchlichen Trauung als falsches Signal, das die Sonderstellung der Ehe zwischen Mann und Frau gefährdet und nicht dem biblischen Zeugnis entspricht. Für die anderen entspricht die gleich­ geschlechtliche Liebe ebenso wie die gegenge­ schlechtliche dem Schöpfungswillen Gottes, die Öffnung der kirchlichen Trauung ist für sie längst überfällig. Gleichgeschlechtlich Liebende sollen nicht nur geduldet, sondern als gleichwertig an­ erkannt und respektiert werden. Gegenseitige Verurteilungen und Verwerfungen stellen die kirchliche Gemeinschaft in Frage. Bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solo­ thurn ist der Dialog mit den evangelischen Ge­ meinschaften ein hohes Gut. In einem gemeinsa­ men Gesprächsprozess sind wir uns in der Sache der «Kirchlichen Trauung für alle» und im Ver­ ständnis der Ehe nicht einig geworden (vgl. Inter­ view ab Seite 9). Einig sind wir uns aber imWillen zur kirchlichen Gemeinschaft, in der Berufung auf Jesus Christus und das biblische Zeugnis. Einig sind wir uns auch im Anerkennen einer christli­ chen Schuldgeschichte gegenüber homosexuellen Menschen, in der Aufgabe, Voraussetzungen zu schaffen, dass Homosexuelle nicht diskriminiert werden und sie zur Landeskirche und zu den Ge­ meinschaften dazugehören. Dafür wollen wir ak­ tiv eintreten und um Respekt für die unterschied­ lichen Haltungen werben. Dazu gehört auch die Gewährleistung der Gewissensfreiheit von Pfarre­ rinnen und Pfarrern bei der Frage der kirchlichen Trauung für alle. Wenn wir Jesus Christus und das biblische Zeugnis als gemeinsame Grundlage betrachten, dann werden wir zuerst die Frage stellen müssen, was dem Geist Jesu Christi und dem Gesamtzeug­ nis der Schrift entspricht. Dieses Verständnis ist immer geprägt von der Zeit, in der wir leben, und von unseren persönlichen Prägungen und unse­ rem Vorverständnis der Bibel. Können wir uns darauf einigen, dass Gott will, dass Menschen sich in ihrem Leben entfalten und aufblühen können, und dass wir ihnen grundsätzlich zuerst einmal Anerkennung und Liebe als Geschöpfe und Eben­ bilder Gottes schulden? Dann werden wir auch mit der gebotenen Vorsicht die wenigen bibli­ schen Stellen zur Homosexualität in ihrem Kontext und in ihrer Aussageabsicht interpretieren. Nach Gottes Willen fragen Eine kirchliche Haltung zur Frage der «Trauung für alle» muss sich am biblischen Zeugnis orien­ tieren und der gesellschaftlichen Realität Rech­ nung tragen. Sie muss ethisch tragfähig sein und sich in der Gegenwart als relevant und verständ­ lich erweisen. Geschlechternormen, das Ehever­ ständnis und die Haltung zur Sexualität sind einem gesellschaftlichen Wandel unterworfen. So hatten die Erzväter Israels mehrere Frauen, und Paulus hält Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit für die bessere Wahl. Wir sollten nicht eine historisch gewachsene Lebensform absolut setzen, sondern uns fragen, welche Lebensformen Menschen helfen, ihrer Be­ rufung entsprechend zu leben, und der Gemein­ schaft der Menschen dienen. Ein Ausschluss bestimmter Lebensformen ist nur dann zu recht­ fertigen, wenn sie anderen Menschen oder der Gemeinschaft Schaden zufügen oder wenn sie grundlegende Werte wie die Gleichberechtigung oder die Würde der Person verletzen. Lebensfor­ Um die «Ehe für alle» sind bei den Reformierten intensive Auseinander- setzungen entstanden. Können wir uns darauf einigen, dass Gott will, dass die Menschen sich ent- falten und aufblü­ hen können? Pouvons-nous convenir que Dieu veut que les gens s’épanouissent? ©: pexels.com / Ivan Samkov

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