14 Doss i er —– ENSEMBLE 2021 /63 Martina Leu hat im Jahr 2015 ihren Vater durch Suizid verloren. In einem Interview erzählt sie, wie sie damit umgegangen ist und wie ihr «Nebelmeer», eine Selbsthilfegruppe in Bern, dabei hilft. Von Alena Lea Bucher Martina, mit 17 Jahren hast du deinen Vater verloren, wie sah die erste Zeit nach seinem Tod aus? Ich wusste, dass es meinem Vater nicht gut ging, und er sagte mir auch, dass sein Leben nicht mehr lebenswert war. Etwa ein halbes Jahr vor seinem Suizid sagte er mir, er werde sich das Leben nehmen. Die erste Zeit nach dem Tod meines Vaters hatte ich eine Verdrängungsphase. Als ich es erfuhr, weinte ich nur kurz und dann lange Zeit nicht mehr. Ich handelte pragmatisch und trauerte in der ersten Zeit nicht wirklich um ihn. Ich war sauer, dass er mich verlassen hat, und mich plagten Schuldgefühle – vielleicht hätte ich ja noch etwas tun können. Die Trauer kam erst später. Was mir half, waren viel Ablenkung und eine Psychotherapie. Wie hat dein Umfeld nach seinem Tod auf dich reagiert? Ich erlebte sehr viele schöne Reaktionen. Meine Gotte schrieb mir beispielsweise einen Brief, das fand ich am schönsten. Viele zeigten Mitleid, aber in diesen Momenten half mir das nicht wirklich weiter. Meine Familienkonstellation war kompliziert, meine Eltern lebten schon länger getrennt, und meine zwei Schwestern hatten einen anderen Vater, weshalb sie auch weniger trauerten als ich. Sie boten mir aber ein offenes Ohr an, wenn ich mit ihnen über ihn reden mochte. Einige Menschen mochten meinen Vater nicht und sie versuchten, ihn gutzureden, das kam mir falsch vor. Seit zwei Jahren bist du jetzt bei Nebelmeer Bern dabei, wie bist du darauf gestossen? In den Jahren nach dem Suizid meines Vaters beschäftigte ich mich immer wieder mit dem Thema und es nahm viel Raum in meinem Alltag ein. Ich wollte meinen Kolleginnen und Kollegen dieses Thema nicht immer zumuten. Die Psychotherapie reichte mir nicht oder war nicht ganz das Richtige für mich. Auf der Suche nach etwas Neuem entdeckte ich zu meiner Verwunderung, dass es eine Selbsthilfegruppe für Jugendliche gibt, die einen Elternteil durch Suizid verloren haben, «Nebelmeer Bern». Ich verabredete mich dann zu einem ersten Treffen mit Simone Bühler, der Leiterin der Selbsthilfegruppe. Wie sieht ein Treffen bei Nebelmeer Bern aus? Wir sind eine kleine Gruppe, die meisten sind etwa in meinem Alter. Manchmal macht Simone einen Input, zum Beispiel zum Thema Trauer, darüber tauschen wir uns dann aus. Wir können aktiv mitgestalten. Ich kann meine eigenen Thematiken einbringen. Wir gingen auch schon zusammen wandern, an Allerheiligen machten wir ein Ritual am Wohlensee, bei dem wir Lichter auf N E B E L M E E R B E R N Austausch auf Augenhöhe Martina Leu © Adrian Peter
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